„Österreichisches Deutsch“ als Fremdsprache ?
Kritische Überlegungen

 

 

Martin Putz, Innsbruck

 

 

Seit geraumer Zeit wird die offiziöse Fremdsprachendidaktik und -politik in Österreich von einem einzigen Gedanken geprägt: nicht Deutsch, sondern Österreichisches Deutsch (ÖD) ist die nationale, einheitliche und von Wien als ihrem einzigen Zentrum ausgehende Landessprache. Diese zum Teil sehr militant durchgesetzte und von den maßgeblichen Bundesstellen – natürlich rein Wiener Institutionen – geforderte Einstellung stiftet im Sprachunterricht jenseits der Landesgrenzen oft Verwirrung. Zum einen wird die Andersartigkeit des ÖD maßlos überbewertet bzw. werden ostösterreichische Dialekt- und Soziolekterscheinungen zu Merkmalen eines österreichischen Standards verallgemeinert, andererseits sehen sich die Österreichischen Sprachinstitute gezwungen, immer wieder darauf hinzuweisen, auch österreichische Deutschlehrer würden normales Deutsch unterrichten, wiewohl in politischen Manifesten, wie sie in liberalen Ländern ohne Hang zum staatlichen Dirigismus undenkbar wären, dann immer wieder ein Bekenntnis zur nationalen Identität und staatlichen Auslandskulturpolitik abgelegt wird (vgl. Payerbacher Positionspapier).

 

1. „Österreichisches Deutsch“ und Fremdsprachenunterricht

Die Entdeckung des Österreichischen Deutsch (ÖD) als einer eigenständigen, nationalen Varietät ist jung und in hohem Maße von außen an die deutsche Sprachwissenschaft herangetragen, also keineswegs Frucht wertfreien akademischen Forschens. Auch nachdem sich die uneinheitlichen Ansätze über die letzten Jahre methodisch und institutionell festigten und die Materialsammlungen beeindruckende Ausmaße angenommen haben, und trotz der – zumindest in Österreich – starken Ideologisierung des ÖD-Konzepts wird man zudem durchaus nicht fehl gehen im Urteil, dass der Großteil der germanistischen Sprachwissenschaftler auch in Österreich dem Konzept nach wie vor gleichgültig bis skeptisch gegenübersteht und zur Beschreibung der sprachlichen Differenzierungen auf geeignetere Kategorien wie Dialekt und Soziolekt zurückgreift. Umso mehr verwundert es, dass die Lehre vom ÖD ausgerechnet in der österreichischen DaF-Didaktik Fuß fassen konnte und zum Dogma erhoben wurde. Wer DaF unterrichtet, wird sich unabhängig von seiner eigenen Staatszugehörigkeit irgendwann der Frage gegenüber sehen, was denn dieses ÖD ist und welchen Stellenwert er diesem im Unterricht einräumen will. Im folgenden sollen kurz die außerwissenschaftlichen Wurzeln des ÖD und die praktische Bedeutung dieses Dogmas in der Fremdsprachenassistenten- und Lektorenauswahl durch die dem Wissenschaftsministerium zuzuordnende Österreich-Kooperation (ÖK) und durch ÖDaF-Funktionäre umrissen werden, bevor in Punkt 2 eine italienische Sprachgeschichte und ein japanisches Wörterbuch beispielhaft die Aufnahme der ÖD-Ideologie durch die nicht deutschsprachige Germanistik vor Augen führen sollen. In Punkt 3 wird kritisch die Schrift eines der gefeiertsten Urheber des ÖD, Michael Clyne, besprochen und den Abschluss bildet in Punkt 4 die erläuternde Durchsicht einer der beiden maßgeblichen Austriazismen-Sammlungen: Ebners Wie sagt man in Österreich?, um v.a. nicht-deutschsprachigen Deutschlehrern beispielhaft die Beschaffenheit der sog. Austriazismen vorzuführen – das amtliche Österreichische Wörterbuch (ÖW) würde wegen seiner unklaren Klassifizierung (Austriazismen werden per definitionem nicht gekennzeichnet) und der Hereinnahme auch nicht rein österreichischer Formen die Betrachtung erschweren und den Umfang dieser Arbeit sprengen. Vorweg sei gesagt, dass der Verfasser die Existenz von Austriazismen nicht grundsätzlich bestreitet: es gibt tatsächlich einige häufig und in ganz Österreich gebrauchte Wörter, die sich nicht als Mundart abtun lassen und die selbst in Bayern schon nicht mehr aktiv benutzt werden, z.B.: weiters, etwas geht sich aus, kontroversiell (das im ÖD neben kontrovers steht, aber anders verwendet wird), Beistrich – diese banale Feststellung rechtfertigt es jedoch nicht, aus Tausenden ostösterreichischen Mundart- und Slang-Ausdrücken eine Nationalsprache namens ÖD zu zimmern und diese im Fremdsprachenenunterricht dem Lernenden aufzuzwingen, auch wird das Zugehörigkeitsgefühl eines Sprechers zu einem letztlich doch mundartlich bestimmten Sprachgebiet nicht durch die wenigen Austriazismen aus der Verwaltungs- und Küchenlexik geprägt. Wie sonst wäre es erklärbar, dass beispielsweise jeder Innsbrucker sich sprachlich in München weit heimischer fühlt als bereits in Salzburg oder Bregenz oder gar Wien, und dass Südtirol, das sich zumindest bis vor kurzem noch in offiziellen Stellungnahmen (Magnago) zur (alt‑) österreichischen Identität bekannte, sich ganz offiziell von der modernen national-österreichischen Sprachpolitik abkehrt und sich mehr und mehr am entfernteren bundesdeutschen Deutsch orientiert.

Dass man in Österreich, einem Staate also, der erst 1918 gegen seinen Willen erfunden wurde und den selbst der Sozialist Karl Renner am liebsten gleich Deutschland angeschlossen hätte, nicht Deutsch sprechen soll, obwohl die Bundesverfassung dies unmissverständlich festhält, ist eine Entdeckung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Opfern des Nationalsozialismus gemacht und von staatlichen Institutionen willig übernommen wurde. Elise Riesel, die nach Moskau emigrierte und unter Stalin Karriere machte, scheint zum erstenmal mit wissenschaftlichem Anspruch von einem Österreichisch als eigenständiger, nationaler Sprache gesprochen zu haben, zumindest deutet der Titel ihres auch über Fernleihe nicht auffindbaren und wissenschaftsgeschichtlich ohne erkennbare Folgen gebliebenen russisch abgefassten Aufsatzes „Zur Frage der nationalen Sprache in Österreich“ (1953) darauf hin (vgl. Ammon 1995: 44). Riesel blieb im übrigen im marxistischen Wissenschaftsbetrieb fest verankert, so erhielt sie 1963 den Weiskopf-Preis der Akademie der DDR. Damit wurde im marxistischen Kontext eine Nationalsprache Österreichisch sogar noch vor der Erfindung einer ostdeutschen Nationalsprache zur Rechtfertigung der DDR konstruiert! Auch die Geburt des Österreichischen Wörterbuches (1951), der einzigen amtlichen und für Schulen und Ämter verbindlichen (!) Kodifizierung des ÖD, stand unter politischen Zeichen, wie Ammon erwähnt: Ernst Pacolt war nach dem Krieg Vorstandsmitglied des Vereins „Widerstandsbewegung“ und Otto Langbein, der Anfang der Dreißigerjahre den Roten Studentenbund in Wien leitete und ein Geographie-Studium begonnen hatte,[1] war im Dritten Reich als Jude Verfolgungen ausgesetzt, was Ammon zur naheliegenden Annahme veranlasst, persönliche Schicksalsschläge hätten die „Distanz“ der Erfinder des ÖW zu Deutschland vergrößert. Unter den wenigen Dokumenten zur Entstehung des ÖW scheinen freilich andere Namen als Pacolt und Langbein bestimmend gewesen zu sein, etwa ein Hofrat Dr. Simonic und ein Dr. Krassnig, zwei Wiener Schulinspektoren und somit hochgestellte Vertreter der Schulverwaltung, deren lexikographisch-germanistische Qualifikation im Dunkeln bleibt. Die von Ammon gut beschriebene national-österreichische Gesinnung war es dann ja auch, die den Österreichischen Schülerduden (1981), einen möglichen Konkurrenten zum ÖW, zu Fall brachte bzw. die Zulassung als Schulbuch verhinderte (Ammon 1995: 128).

1969 erschien die zweite, aber nicht-amtliche Kodifizierung des ÖD: Ebners vom westdeutschen Dudenverlag herausgebrachtes Wie sagt man in Österreich?, das von der Redaktion des ÖW nicht wohl gelitten wurde: Ebner wurde lange Zeit wegen seines Überlaufens nach Reichsdeutschland – so wird man in Wien seine Mitarbeit am westdeutschen Duden empfunden haben – die Aufnahme ins ÖW-Team verwehrt, dagegen hatten Pacolt und Langbein keine Schwierigkeiten, für den DDR-Duden zu arbeiten, dem verständlicherweise sehr an nationalen Varianten gelegen war, die nicht nur die Existenz von vier deutschen Sprachvarietäten, sondern v.a. von vier deutsch(sprachig)en (National‑) Staaten zu stützen die Aufgabe hatten (vgl. Ammon 1995: 360). Die Kritik am ÖW ist ernst und selbst ein Anhänger der nationalen Gliederung des Deutschen wie Ammon kommt nicht umhin, das ÖW als „nach Maßstäben wissenschaftlichen Arbeitens […] recht unprofessionell gemacht“ zu bezeichnen, zumal es nur impressionistisch die Werturteile seiner Wiener Schöpfer wiedergibt und jeder empirischen Basis entbehrt bzw. widersprüchlicherweise sich auch aus dem Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (1963ff) nährt, das erklärtermaßen nicht den Standard, sondern die Mundart erschließt (Ammon 1995: 189). Zudem sind sich die Macher des ÖW durchaus bewusst, dass der bundesdeutsche Rechtschreib-Duden auch in Österreich größeres Ansehen genießt und dass er sogar mehr lexikalische Austriazismen als das ÖW enthält (Ammon 1995: 359 und 363). Tatsächlich wird in Österreich kaum jemand, der aus eigenem Antrieb und außerhalb der Schulbuchaktion ein Wörterbuch kauft, zum ÖW greifen. Im österreichischen wie im bundesdeutschen Allgemeinbewusstsein ist und bleibt wohl der Duden das Synonym für Wörterbuch.

Einer der Hauptvorwürfe gegen das ÖW war von Anfang an seine starke Ostlastigkeit bzw. Wien-Zentriertheit, was am krassesten in der Skandalauflage, also der 35. Auflage von 1979, sichtbar wurde, gegen die sich (auch in Ost‑) Österreich sehr starker Protest erhob: auf einen Schlag wurden „rund 5000“ neue Stichwörter, d.h. Wiener Dialekt- und Gossenausdrücke, aufgenommen, die dann in der 36. Auflage zum größten Teil wieder sang- und klanglos verschwanden (Ammon 1995: 132 und 135) – offensichtlich sind die Austriazismen eine sehr unstete Größe! Die Lehre vom ÖD ist aber nicht nur sehr jung, sie wird von Anfang an von nationalchauvinistischen, ostösterreichischen bzw. Wiener lokalpatriotischen Gefühlen getragen, die zumindest im westlichen Landesteil als Affront verstanden werden und die auch außerhalb der Sprachenfrage leicht zu beobachten sind, man denke an die Fernsehserie Kottan – oder schlimmer noch: Ein echter Wiener geht nicht unter, in denen Wiener Slang als österreichische Identität verkauft wurde und im Ausland auch sehr nachhaltig das Bild vom typisch Österreichischen prägte. Für diese Art der Geisteshaltung hatten die Schöpfer des ÖW/ÖD einen Vorläufer in Hrauda, der schon 1938 vor der „Verpreußung“ seines guten Österreichisch warnte und faschistoide Ausdrücke wie „kulturelle Verseuchung und Zersetzung“ – und zwar durch das böse deutsche Deutsch – in den Mund nahm (Ammon 1995: 187). Darüber, dass über all die Jahrhunderte bis in die Fünfzigerjahre hinein niemandem die nationale Eigenart des Österreichischen aufgefallen war und diese nationalstaatliche Ideologie nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich anachronistisch erscheinen hätte sollen, auch wenn deren Vorzeichen der neuen Zeit angepasst und Österreich nun als Gegensatz zum bösen Deutschland aufgefaßt wurde, kann auch nicht der Anhang „Zur Geschichte der Rechtschreibung in Österreich“ im ÖW hinwegtäuschen. Im Gegenteil: auch österreichische Grammatiker nannten ihre Kodifizierungen immer deutsche Grammatiken und sofern sie Regionalismen etwa in der Rechtschreibung berücksichtigten, haben diese nichts mit einer Nation Österreich zu tun.

Man mag nun umgekehrt gegen die westösterreichische Sicht, wonach der sog. Österreichische Standard zum größten Teil nur Wiener oder ostösterreichische Mundart oder Soziolekt sei, einwenden, dass der Standard einer jeden Sprache von einem Zentrum bestimmt werde und es nichts ungewöhnliches sei, dass nicht alle Sprecher einer Sprache sich gleichermaßen mit dem so definierten Standard identifizieren. Dies ist jedoch tautologisch (Österreichisch ist, was und wie man in Wien sagt, und umgekehrt) und wird der Sprachwirklichkeit und Sprachidentität der Westösterreicher keinesfalls gerecht. Vieles oder das meiste, was beispielsweise im ORF zu hören ist, verstößt sehr deutlich gegen das Sprachnormempfinden eines Westösterreichers und wird sicher nicht als Standard empfunden, wohingegen das Deutsch der meisten öffentlich-rechtlichen deutschen Sender, sofern sie sich nicht bewusst an Jugendsprache oder regionale Varianten anlehnen, viel eher als unmarkiert und Standard empfunden wird. Insofern verschärft die nationale Österreich-Ideologie, soweit sie auf Sprachverhältnisse umgelegt wird, weit mehr den Gegensatz zwischen Ost und West als sie zu einer Verfestigung einer sprachlichen, nationalen Identität beitragen könnte – so ein solcher Nationalismus im 3. Jahrtausend überhaupt erstrebenswert ist. Allerdings verrät der oben genannte Einwand gegen die westösterreichische Kritik am sog. Österreichischen Deutsch eine weitere österreichische Anomalie: staatliche und sog. Bundesämter sind fast ausnahmslos in ostösterreichischer Hand, d.h. für Nicht-Österreicher muss tatsächlich sehr rasch der Eindruck eines homogenen Österreichisch entstehen, weil eben in österreichischen Kulturinstituten, Botschaften, in Rundfunk und Fernsehen, als Austauschlektoren usw. fast ausschließlich Ostösterreicher oder stark assimilierte Westösterreicher in Erscheinung treten. Am geschilderten Befund, dass nämlich das sog. Österreichisch ein Ostösterreichisch ist, ändert der Einwand, jede Sprache werde von einem Zentrum geprägt, nichts.

In Österreich sind es v.a. die ÖK und der Verein ÖdaF, die sich der Verbreitung des ÖD in der Welt verschrieben haben, während seine Propagierung in Österreich selbst durch das amtliche, für Schulen und Behörden allein verbindliche ÖW erfolgt, das alle bundesdeutschen Ausdrücke mit Sternchen versieht und umgekehrt Tausende ostösterreichische Dialekt- und Soziolektformen als österreichischen Standard propagiert. Dass im übrigen österreichische Ausdrücke nicht und bundesdeutsche sehr wohl gekennzeichnet werden, ist für den österreichischen Benutzer doppelt unsinnig: ein Österreicher müsste die bundesdeutschen Formen ja aufgrund seines national-österreichischen Sprachgefühls von selbst als unnatürlich erkennen bzw. meiden und es sollte keiner Stigmatisierung durch die ÖW-Herausgeber bedürfen. Umgekehrt aber fehlt dem Österreicher sehr wohl das Gefühl dafür, ob von ihm als natürlich empfundene Ausdrücke jenseits der Staatsgrenze noch verstanden werden, gerade hier wäre für den österreichischen Benutzer eine Markierung dringend geboten – diese bietet ihm aber nur der bundesdeutsche Duden!

Dem Verfasser wurde, als er an einem römischen Gymnasium als Deutschassistent eingesetzt wurde, von einem Mitarbeiter des Österreichischen Kulturinstitutes eingeschärft, bloß keine bundesdeutschen Institutionen wie das Goethe-Institut aufzusuchen und im DaF-Unterricht auf größtmögliche Berücksichtigung österreichischer Aussprachegewohnheiten und lexikalischer Spezifika zu achten, das Unterrichtsministerium stellte auch reichlich österreichische Sprachproben und dialektale Popmusik zur Verfügung – selbstverständlich bedeutet österreichisch dabei immer Wienerisch oder ostösterreichisch. In einer Vor-Ausscheidung zur Lektorenernennung durch die ÖK musste der Verfasser sich, als er Zweifel daran anmeldete, ob das sog. ÖD wirklich gesamt-österreichisch und Standard sei, von der damals hauptsächlich aus pensionierten Beamten des Außenministeriums zusammengesetzten Kommission sagen lassen, wer nicht bereit sei, ÖD im Ausland aktiv zu vertreten, dürfe nicht österreichischer Lektor werden („sogn’S, wia woin’S denn im Osland ois östarächischa Lektoa oabätn, wonn’S sogn, a östarächisches Dötsch gibz goa net?“). Tatsächlich sind im langjährigen Schnitt rund 90% der ernannten Lektoren Abgänger ostösterreichischer Universitäten, was angesichts des Umstandes, dass die Universität Innsbruck die zweitgrößte des Landes ist, doch überrascht. Im übrigen dürften auch unter dem Innsbrucker Zehntel etliche – sprachlich gesehen – Ostösterreicher sein, da z.B. viele Oberösterreicher mangels eigener universitärer Sprachinstitute lieber in Innsbruck als in Wien studieren, umgekehrt aber nur wenige Westösterreicher unter jenen Lektoren zu finden sein werden, die statistisch als Abgänger der Universität Wien und Graz auftreten, da Sprachstudien – qua Voraussetzung für ein Lektorat – auch in Innsbruck angeboten werden.

Wer sich über das militante Auftreten mancher ÖdaF-Funktionäre ein Bild machen will, dem seien die ÖdaF-Mitteilungen ans Herz gelegt. Unfreiwillig gibt sich das Blatt tatsächlich als landesspezifisch zu erkennen, aber nicht im Sinne des ÖD. Was dem bundesdeutschen Leser vor allem auffallen wird, sind vielmehr die vielen unnötigen Fremdwörter, die in Deutschland leicht als Angeberei ausgelegt werden, der falsche Gebrauch idiomatischer Ausdrücke und eine simple Syntax – alles Merkmale einer verleugneten mundartlichen Sprechweise. In einem politischen Manifest gegen einen Regierungswechsel etwa finden sich Ausdrücke wie: etwas steht einer Integrationspolitik „diamentral entgegen“ (Heft 1/2000, S. 7ff), „Saissonier Modell“ wird nach englischem Vorbild ohne Bindestrich geschrieben, dann ist von der „mühsam erarbeiteten Reputation, die das Fach […] DaF im Ausland genießt“, die Rede; „die Beherrschung der in einem Staat verwendeten Sprache ist Voraussetzung für die Partizipation am öffentlichen Diskurs“,  u.v.m. – ironischerweise ruft gerade dieses Heft im Vorwort gegen „staatliche Nationalismen“ auf, als deren einen man ÖD nicht nur nicht erkennt, sondern sich ganz in deren Dienst stellt. Bundesdeutsche DaF-Lehrbücher werden daraufhin geprüft, ob sie österreichische Eigenheiten gleichberechtigt einbauen, so wurde etwa ein Buch (Hauptsache Arbeit, Köln 1998) allen Ernstes wegen der „Verweigerung des DACH-Konzeptes“ kritisiert, weil das ganz ausdrücklich für in Deutschland Deutsch lernende Ausländer geschriebene Buch keine österreichische Verwaltungsterminologie bietet und die bundesdeutschen Sozialversicherungs-Fachbegriffe angeblich für Österreicher unverständlich seien (Heft 1/1999, S. 90)! Auch das an die österreichischen Austauschlektoren verteilte Informationsblatt der ÖK befasst sich weniger mit Didaktik als mit Sprachpolitik und ruft immer wieder die nationale sprachliche Identität in Erinnerung. Eine mittlerweile gedruckte Diplomarbeit (Manfred Glauninger. Untersuchungen zur Lexik des Deutschen in Österreich. Frankfurt: Lang, 2000) wurde darin lobend rezensiert, weil sie die nationale Geschlossenheit und Einheitlichkeit des ÖD letztgültig nachweist:

[Bei dieser Untersuchung] wird ein relativ hoher Grad an Homogenität innerhalb des zwischen Boden- und Neusiedlersee frequenten Wortschatzes evident. So schlägt sich etwa ein lexikalischer West-Ost-Gegensatz in den Erhebungsdaten nicht signifikant nieder, wohl aber eine sogar in formellen Kommunikationsregistern markante Inkongruenz zwischen den Bezeichnungen aus dem Duden-Bildwörterbuch und den Realisierungen der österreichischen Gewährspersonen. Darüber hinaus prägen morphologische Modifikationsbildungen („Nomina deminutiva“) die Lexik der Österreicherinnen und Österreicher. (ÖK Informationsblatt Nr. 18, Mai 2000, S. 24).

 

Bloß: Verkleinerungsformen sind nicht Österreich-spezifisch, es gibt sie im Bairischen ganz genauso, auch die Schweiz und das nördliche Deutschland benutzen sie, aber mit anderen Suffixen. Und die Abweichungen vom Duden-Bildwörterbuch hängen vermutlich mit eben diesem und weniger mit der Uniformität des ÖD zusammen. Auch bundesdeutsche Sprecher hätten wahrscheinlich für viele Gegenstände andere Wörter gewählt, als sie das Bildwörterbuch vorschlägt, denn dieses ist bekanntermaßen veraltet oder benutzt auch in weiten Teilen Deutschlands ungebräuchliche Benennungen. Ein einziges Beispiel mag verdeutlichen, wie verfehlt Glauningers Methode und wie unüberlegt seine Folgerungen sind, was nicht zuletzt deshalb so erschreckend ist, weil einer der Hauptpropagatoren des ÖD, sein Lehrer Rudolf Muhr, gestützt auf Glauningers Statistik apodiktisch den Anspruch erhebt, nun sei ein für alle Mal bewiesen, dass es ein Österreichisch gebe, und wohl nur Unbelehrbare weiter an der Existenz des nationalen Österreichisch zweifeln. (vgl. Muhr 1997: 57). Glauninger ließ seine Gewährsleute in den neun österreichischen Bundeshauptstädten bildlich dargestellte Gegenstände benennen und verglich deren Ausdrücke mit den Vorschlägen des Bildwörterbuchs. Anhand eines gängigen Küchengerätes stellte er fest, dass die überwältigende Mehrheit der Österreicher „Mixer“ statt „Handrührgerät“ sagt (Glauninger 1997: 185) – wozu es freilich keines landesweiten Forschungsprojektes bedurft hätte. Dass auch ein Münchner oder ein Berliner spontan das zu erratende Ding als „Mixer“ bezeichnet hätte, erkennt Glauninger nicht, da es seine Ideologie zum Platzen brächte – ja, dass die umständliche Umschreibung „Handrührgerät“ nicht einmal im normalen Duden aufscheint, der selbst für die Worterklärung von „Mixer“ (das natürlich lt. Duden auch in ganz Deutschland die einzige Normalform und keinesfalls ein Austriazismus ist) nicht auf das Kunstwort „Handrührgerät“ zurückgreift, entgeht Glauninger ebenfalls! Seine groß angelegte Untersuchung erweist sich damit als höchst fragwürdig, zumal auch nicht erkennbar ist, wer seine Gewährsleute in den Bundeshauptstädten sind und welchem Sprachraum sie zugehören. In Innsbruck beispielsweise wander(te)n seit dem Weltkrieg jedes Jahr Tausende Ostösterreicher zu, selbst der langjährige Bürgermeister und zukünftige Landeshauptmann (Ministerpräsident) von Tirol spricht ein sehr starkes Ost-Österreichisch, sodaß unter Glauningers „Innsbrucker“ Gewährsleuten wohl viele gar keine Innsbrucker oder West-Österreicher gewesen sein dürften. Dass Glauninger und Muhr dann für das fälschlich als einheitlich (und dem nationalen Österreichisch geradezu entgegengesetzt) angenommene Deutsche den bewusst unschönen Ausdruck „Deutschländisch“ gebrauchen, bekräftigt die Zweifel am wertfreien Vorgehen der ÖD-Ideologen, denn nun wird die Sprache der großen Mehrheit der deutschen Native Speaker nicht mehr neutral als Deutsch, sondern als eine seltsame „deutschländische“ Sonderform etikettiert.

Wieweit der österreichische Nationaleifer geht, zeigt auch erschreckend eine Nebenbemerkung in einem weiteren Aufsatz desselben Muhrschen Sammelbandes: eine österreichische (Ö)DaF-Lehrerin beklagt allen Ernstes, dass sich eine neu erschienene deutsche Literaturgeschichte erdreistet, auch Nestroy und Grillparzer zu besprechen (Fasch 1997: 305)! Dass unter den Vorzeichen einer solchen offiziellen österreichischen Kultur- und Außenpolitik österreichische Lektoren nach dem Verständnis der bestimmenden österreichischen Kulturinstitutionen weniger Sprache und Literatur vermitteln als vielmehr anachronistische nationale (chauvinistische) Selbstdarstellungen versuchen sollen, dürfte auf der Hand liegen. Ja, um als österreichischer Lektor überhaupt die Vor-Selektion zu bestehen, muss man vor der ÖK, einem Wiener Drei-Mann-Verein, deutlich genug zu erkennen geben, dass man (Ost‑) Österreichisch spricht und dieses mit Nachdruck vertreten wird.

Ins allgemeine, auch bundesdeutsche Bewusstsein trat die Lehre vom ÖD freilich erst – nicht ohne Häme in den Zeitungsmeldungen – mit dem Beitritt Österreichs zur EU, als Österreich sich nicht etwa für eine Verbesserung der Stellung des Deutschen in EU-Gremien stark machte, sondern der EU in einem Zusatzprotokoll (BgBl. Nr. 45, 13. Jänner [sic] 1995) das Lebensrecht für 23 Wiener Küchenausdrücke abrang. Von nun an muss die EU neben Tomate auch das Wort Paradeiser und neben Kartoffel den vermeintlichen Austriazismus Erdäpfel setzen, obwohl zumindest in Westösterreich längst die deutschen Standardausdrücke die angeblichen Austriazismen verdrängt haben. Den Widersinn der ÖD-Ideologie belegt anhand dieser zwei Beispiele im übrigen der Umstand, dass selbst das amtlich verbindliche ÖW sowohl „Tomate“ als auch „Kartoffel“ ohne abschätzige Sternchen-Markierung anführt, also als gutes Österreichisch gelten lässt. D.h.: der EU-Bürokratie hat die österreichische Regierung verboten, jene Ausdrücke zu verwenden, die selbst laut ÖW genauso „österreichisch“ sind wie „Paradeiser“ und „Erdäpfel“!

 

2. ÖD in der nicht-deutschsprachigen Germanistik

Wie leicht die Lehre von den nationalen Varietäten (NV) bei Nicht-Muttersprachlern falsche Vorstellungen zu wecken geeignet ist, soll exemplarisch ein Blick in ein japanisches Wörterbuch und zuvor die für den italienischen Universitätsbetrieb verfasste Breve storia della lingua tedesca belegen, in deren jüngste Auflage eigens ein aus Ammon übernommenes Kapitel „Il tedesco lingua pluricentrica“ (Foschi 1999: 172-80) eingefügt wurde. Zum scheinbar schlagenden Nachweis der großen Abweichungen zwischen den drei NV wird ausgerechnet der bei Ammon im Vorwort (Ammon 1995: 9-10) wiedergegebene Text in seinen drei nationalsprachlichen Ausprägungen vorgeführt (der Text ist im Anhang des vorliegenden Artikels abgedruckt). Dass diese kurze Erlebniserzählung ganz bewusst unecht ist, d.h. zu einem großen Teil aus solchen Wörtern besteht, von denen Ammon von vornherein annehmen durfte, dass sie Schweizer oder Wiener als bundesdeutsch tilgen würden, entgeht Foschi dabei, ja sie erwähnt auch nicht, was Ammon selbst einräumt: dass nämlich sein zweiter Wiener Gewährsmann gleich vier der angeblich elf Austriazismen, die Foschi aus dem Vergleich von Ammons Textvarianten herauslöst, als falsch zurückwies, und dass zudem der Schweizer und der Wiener Sprachzeuge den bundesdeutschen Text bewusst bei ihrer Übersetzung in die eigene NV einer größtmöglichen Verfremdung unterzogen: „im Zweifelsfalle wurde die dem Standarddeutsch unähnlichere Variante gewählt“ (Ammon 1995: 9). Foschi erstellt aus den bei Ammon durch Unterstreichung gekennzeichneten Varianten eine eindrucksvolle Liste von nationalen Abweichungen: in dem kurzen, scheinbar alltagssprachlichen Text von elf Zeilen sollen nicht weniger als elf Austriazismen vorliegen, was im Leser den Eindruck stärkt, ÖD sei eine im wesentlichen eigenständige und vom normalen Deutsch grundverschiedene Sprache. Foschi unterliefen beim Erstellen ihrer Austriazismen-Liste kleinere Fehler, so übersah sie z.B. das Wort „Zug(s)verkehr“, bildet falsche Nom.-Pl.-Formen wie „Pölstern“ bzw. hielt das Dativ-n für ein Plural-n und schrieb in der Schweizer Fassung irrtümlich „aufwachte“ statt „zu mir kam“, was auch sachlich falsch wäre, so wie überhaupt das ganze Plurizentrismus-Kapitel sehr flüchtig eingearbeitet wirkt: ihre Quelle, Ammon, gründlich missverstehend unterstellte Foschi z.B. dem Verein Schweizerdeutsch, für ein „Alemannisch“ als eigene Sprache einzutreten (Foschi 1999: 177). Fatal aber ist an Foschis Darstellung des ÖW, wie sie im Prüfungsbetrieb in Pisa von allen Deutsch-Student(inn)en seit Jahren eifrig reproduziert wird, die naive und unkritische Auswertung von Ammons Text. Jedem Native Speaker hätte sofort auffallen müssen, wie wenig stichhaltig die Austriazismen sind: „Omnibus“ etwa ist in Deutschland mindestens so veraltet wie in Österreich, Ammon verwendete im Mustertext also bewusst ein Wort, das sein Wiener Übersetzer – auch wenn er nicht an ein ÖD glaubte – durch Bus ersetzt hätte – verräterischerweise benutzt Ammon selbst später, wo er den Italianismus „Pullman“ im Südtirolerischen erklärt und keinen künstlich auf größtmögliche Verschiedenartigkeit hin angelegten Text ersinnt, das Wort „Bus“ (Ammon 1995: 411), das er in der Einleitung als Austriazismus einstufte! Auch dass „Rechtsanwalt“ ein Teutonismus und „Anwalt“ ein Austriazismus sei, entbehrt jeder Grundlage, die beiden Wörter folgen in Deutschland und in Österreich denselben Verwendungsregeln, auch in Österreich heißt die Standesvertretung „Rechtsanwaltskammer“ und Briefe werden an „Herrn / Frau RA xy“ geschrieben. „Schwindlig“ wiederum kann kaum als Austriazismus gelten, denn der durch und durch bundesdeutsche Duden verweist unter „schwindelig“ auf „schwindlig“ als Normalform. Im ÖW fehlen übrigens beide Formen, d.h. in Österreich wäre auch der Gebrauch des angeblichen Austriazismus „schwindlig“ amtlich gar nicht zugelassen! Andere angebliche Austriazismen beruhen auf sachlicher, nicht sprachlicher Verfremdung: „Kratzer an seinem Kotflügel“ oder „in seinem Kotflügel“ und „an der Ampel“ bzw. „vor der Ampel“ unterscheiden sich, falls überhaupt, nicht durch ihre mehr oder minder große Österreichischhaftigkeit. „Geröstete“ sind keineswegs das österreichische Wort für deutsches „Bratkartoffel“, sondern eine andere Speise, wie schon Ammon vermutete und wie ein Blick in ein österreichisches Kochbuch bestätigt hätte (z.B. Elizabeth Schuler. Das Kochbuch. Salzburg: Andreas Verlag, 1953, S. 156f), und „Nachtmahl“ ist in beiden Ländern gleichermaßen veraltet, auch in Österreich sagt man – vielleicht mit Ausnahme feiner Wiener Kreise – „Abendessen“, was auch motivierter, d.h. semantisch durchsichtiger ist. „Blaukraut“ statt „Rotkohl“ ist, wie ein Mundartatlas zeigt (vgl. König 1998: 208), bis über den Main hinaus heimisch, also kein Austriazismus, und zumindest in Ostösterreich ist eine dritte Form, nämlich „Rotkraut“, gebräuchlich, die im oben genannten Kochbuch ausschließlich benutzt wird, und dieser dritte Ausdruck ist wiederum in weiten Teilen Deutschlands zwischen dem Rotkohl- und dem Blaukraut-Gebiet vertreten – zu einer simplen Austriazismen-Teutonismen-Gegenüberstellung taugt Blaukraut gewiss nicht. Blieben mithin noch zwei Austriazismen: „allfällig“ ist lt. Duden zwar „besonders“, aber eben nicht allein in Österreich und der Schweiz üblich. Das Wort klingt auf jeden Fall schwerfällig und bürokratisch, zumeist begegnet es im Zusammenhang mit Tagesordnungen („Allfälliges“); im Kontext von Ammons Beispieltext („meine allfällige Verletzung“) wurde das Wort jedenfalls sogar von dem zweiten Wiener Gewährsmann gar nicht als österreichisch, sondern einfach als unpassend empfunden. „Rindsbraten“ ist allgemein süddeutsch (einschließlich der Schweiz), auch im bundesdeutschen Deutsch gibt es im übrigen Komposita mit Fugen-s, z.B. „Rindsleder“, so dass auch hier keine wirkliche nationale Scheidelinie in der Wortbildung vorliegt. Bei den „Pölstern“ statt „Kissen“ liegen die Dinge schwieriger. Dass der Plural in Österreich „Pölster“ lauten soll (Ebner 1998: 246), mag für Ostösterreich stimmen, dem Verf. ist jedoch nur „die Polster“ geläufig. Zweifelhaft ist auch die behauptete Österreich-Beschränkung des Wortes „Polster“ für Kissen: der Duden verzeichnet zwar tatsächlich nur z.B. „Kopfkissen“, nicht aber „Kopfpolster“, oder „Kissenschlacht“ und nicht „Polsterschlacht“, doch bestätigten dem Verfasser inzwischen bayerische Sprecher, dass auch sie „Polster“ im weiteren Sinne auch für Kissen durchaus als gebräuchlich empfinden, zudem existiert „Kissen“ auch in Österreich nicht nur als neutrale, d.h. nicht typisch teutonische Form, sondern muss sogar in bestimmten Wendungen ausschließlich verwendet werden (z.B. „Sitzkissen“, wohl kaum „Sitzpolster“; ebenso „Heizkissen“ und „Nadelkissen“ – das ÖW kennt übrigens ein „Heizkissen“ ebenso wenig wie einen „Heizpolster“, beides ist von der Wiener Sprachpolitik offensichtlich (noch) nicht zugelassen, und „Nadelkissen“ wird trotz des „‑kissen“ nicht als Teutonismus gekennzeichnet und steht neben „Nadelpolster“, das aber selbst in Österreich eigenartig, weil an einen größeren Gegenstand erinnernd, klingt). Von elf Austriazismen haben sich also zumindest zehn als Irrtümer erwiesen und auch im Falle von „Polster / Kissen“ ist die Verteilung keineswegs so komplementär, dass in einem Land nur die eine und im andern nur die andere Form gängig wäre. Es scheint, als habe die Lehre vom ÖD zu einer grob verzerrten Sicht der tatsächlichen, sprachlichen Gliederung geführt.

Vielsagend ist auch Naoji Kimuras Referat über die Berücksichtigung des österreichischen Wortschatzes in einem deutsch-japanischen Wörterbuch. Dank der Aufklärungsarbeit der ÖD-Gemeinde führt das Meister, so der Titel des Wörterbuches, nun 400 Austriazismen an. Wieder hält dieses angebliche Österreichisch kaum einer Überprüfung stand, wie an einigen zufällig herausgegeriffenen Beispielen gezeigt werden soll, doch stellt sich v.a. die Frage: warum japanische Deutsch-Studenten in einem zweisprachigen, nicht-spezialisierten Wörterbuch mit einem Sondervokabular behelligen, das – selbst wenn es ein nationales Österreichisch gäbe – von nicht einmal einem Zehntel der Deutschsprachigen benutzt wird und auf wenige Bereiche wie Küche und Verwaltung beschränkt ist? Zunächst einmal scheinen etliche Austriazismen auf Irrtümern zu beruhen, „ebenerdig“, „Bösewicht“ oder „eminent“ sind gewiss keine „österreichischen Wörter im engeren Sinne“, wie Kimura in seiner Beschreibung des Meister sagt; „Backhendle“ [sic] ist unmöglich „österreichisch“ (Kimura 1997: 322f), auch „Ansuchen“ oder „beeidigt“ sind keine rein österreichischen Formen, zudem heißt es in der offiziellen Bezeichnung für Dolmetscher „allgemein beeidet“ und nicht „beeidigt“. Das höchst seltene Wort „talmin“ ist mitnichten österreichisch, das ÖW kennt es gar nicht, weder in dieser angeblich österreichischen Form noch in der angeblich bundesdeutschen Form „talmi“, und Duden gibt genau umgekehrt „talmi“ als in Österreich allein gebräuchliche Form an; „Dolmetsch“ und „präzis“ sind auch in Deutschland gängig; „Kohlrabi“ wird im Duden ohne geographische Einschränkung als Normalform angeführt, kann also kein Austriazismus für „Kohlrübe“ sein, und „Vorwort“ für Präposition ist im Österreichischen genauso veraltet wie im Bundesdeutschen, selbst das ÖW verweist im Glossar („Grammatische Fachausdrücke“) auf „Präposition“; „Technik“ im Sinne von „technische Hochschule“ ist Jargon und länderunabhängig, „Tasse“ im Sinne von „Tablett“ zumindest in Westösterreich völlig unbekannt und wohl auch im Osten nur mehr vereinzelt gebräuchlich; auch unter den „ausgesprochen österreichischen Wörtern“ begegnen Wörter, die in Deutschland bekannt sind, so das bürokratische „abgängig“, „auslangen“ für ausreichen und „Abverkauf“; „Zille“ düfte den meisten Muttersprachlern unbekannt sein, ob zwischen der (seltenen) Verwendung im Ostmitteldeutschen und im Österreichischen wirklich feine semantische Unterschiede bestehen, dürfte schwer zu erheben sein; „zwicken“ für Fahrschein lochen ist zwar besonders in Wien häufig zu hören, gehört aber kaum dem (schriftsprachlichen) Standard an, zudem wird seit langem beim Entwerten nicht mehr gelocht, sondern gestempelt (vgl. Kimura 1997: 318f), offiziell ist immer nur von „entwerten“ die Rede; „Beisel“ ist nur Wienerisch oder ostösterreichisch. Wieder zeigt sich, dass zur Behauptung angeblich österreichischer Formen von einem angeblich einheitlichen, ebenso nationalstaatlichen Bundesdeutsch ausgegangen wird, das es ebensowenig wie ein nationales Österreichisch gibt: „Bonbon“ und „Gulasch“ können auch in Deutschland Neutra sein und „Kataster“ auch Maskulinum; „das Abszeß“ ist selbst lt. ÖW in Österreich nur als Nebenform zugelassen, dass „der Abszeß“ eine in Österreich nicht ebenso übliche Form wie in Deutschland wäre, stimmt also nicht; „linieren“ ist keineswegs die ausschließlich österreichische Form für ein einheitlich bundesdeutsches „liniieren“, das italienische „detto“ ist auch in Deutschland gebräuchlich, auch wenn in manchen Gebieten das französisch-toskanische „dito“ überwiegen mag, „Geleise“ statt „Gleis“ und „einbekennen“ ist keineswegs nur in Deutschland veraltetet oder, wie Duden klassifiziert: „gehoben“ (vgl. Kimura 1997: 317). Auch was zunächst wie ein echter Austriazismus aussieht, ist in Wirklichkeit keine je nach Staatsgebiet komplementär distribuierte Variante: „Erlagschein“ ist keinesfalls der österreichische, synonyme Ausdruck für Zahlschein, sondern ein Sachspezifikum: nur die Zahlscheine der Post (bzw. Postsparkasse) heißen so, weil früher diese Zahlungsmethode mit geringeren Gebühren abgewickelt wurde als jene mittels der auch in Österreich allein so benannten „Zahlscheine“ der Banken. Heute dürfte das Wort „Erlagschein“ mitunter fälschlich auch im Sinne von „Zahlschein“ benutzt werden, weil es technischer klingt als das semantisch durchsichtige „Zahlschein“. Für „Matura“ wiederum wird in offiziellen Texten immer das auch in Deutschland amtliche „Reifeprüfung“ benutzt.

Wieder zeigt sich, dass die Ideologie vom Österreichischen unter Nicht-Native-Speakern zu einer völlig verzerrten Sicht der Dinge führt. Bezeichnenderweise fühlten sich letztes Jahr die halbstaatlichen österreichischen Sprachinstitute in Italien veranlasst, durch Werbeplakate darauf aufmerksam zu machen, dass man nicht nur in Deutschland Deutsch spreche! Soweit war also bereits im allgemeinen italienischen Verständnis die Vorstellung vom „austriaco“ gediehen, dass deren Verfechter aus kommerziellen Gründen bremsen mussten und um ein Ausbleiben der Deutsch-Lernwilligen fürchteten.

 

3. Michael Clynes „Österreichisches Standarddeutsch“

Dieser maschinenschriftliche Aufsatz wird oder wurde zumindest bis vor kurzem in Vorbereitungsseminaren für Austauschlektoren als richtungsweisend und Wendepunkt in der Erforschung des ÖD vorgestellt, obwohl die Tagung, für die Clyne seinen Beitrag abfasste, nichts mit Sprachwissenschaft, sondern mit „Geschichte, Kultur und Gesellschaft Österreichs“ zu tun hatte und Clyne selbst auf dem Gebiet des ÖD bis dahin nicht geforscht zu haben scheint und keinen Anspruch auf Originalität erhebt, wobei er seine Quellen jedoch mitunter grob verfälscht. Als Beweis für die Existenz eines ÖD zitiert er: „H. Weigel (1968) in O Du mein Österreich: ‚Richtiges Österreichisch ist anders als richtiges Deutsch’“ (Clyne 1982: 55) – was Clyne aber seinen Zuhörern bzw. Lesern verschweigt: Weigel ist Satiriker und kein Linguist, dem an wissenschaftlicher Argumentation gelegen wäre, und zweitens erklärter und prominenter Gegner des ÖD! Nur eine Seite vor dem von Clyne zitierten Bonmot hatte Weigel, der 1938-45 wegen der nationalsozialistischen Rassenverfolgung im Schweizer Exil lebte und fraglos kein Großdeutscher war, unmissverständlich Stellung bezogen:

Es ist hier nicht der Ort, die österreichische Sprache eingehend zu analysieren, dies umso weniger, als es eine solche nicht gibt, mögen übereifrige Wiener Schulmeister auch in einem sogenannten „Österreichischen Wörterbuch“ den blamablen Versuch ihrer Kodifizierung unternommen haben. (Weigel 1967: 106).

 

Ob Clyne hier bloß einem Irrtum erlag, ist im Grunde einerlei, denn die Schwächen des Aufsatzes gründen viel tiefer.

Zum einen vertritt Clyne einen radikal nationalsprachlich / nationalstaatlichen Ansatz, der ihn auch im Falle der DDR weit über jenes Ziel hinausschießen ließ, das sich heutige Polyzentriker setzen: So bemängelte er etwa ausdrücklich, westdeutsche Sprachwissenschaftler spielten „die Unterschiede zwischen dem Standarddeutsch der Bundesrepublik und der DDR herunter“ (Clyne 1982: 63), wiewohl heute, nach dem Untergang der DDR und des politisch-ideologischen Druckes, doch klar ist, dass diese Unterschiede im Gegenteil von ostdeutscher Seite hochgespielt wurden – selbst ein Anhänger der polyzentrisch-nationalsprachlichen Sprachauffassung wie Ammon kam 1995 zum Schluss, dass bestenfalls fünf Wörter aus dem DDR-Deutsch (z.B. „Broiler“) möglicherweise überleben werden (Ammon 1995: 390). Clyne schwächt seine letztlich an weltpolitischen Zufälligkeiten ausgerichtete nationalsprachliche Gliederung des Deutschen zwar im etwas aufgesetzt und nicht ganz widerspruchlos wirkenden Schluss-Satz entscheidend ein – „Österreich war kein Nationalstaat und ist auch keiner“ (Clyne 1982: 65) –, bezeichnet aber mittelbar Kritiker des ÖD durchaus als „Großdeutsche“ (Clyne 1982: 57), auch den verfolgten Weigel müsste er also der „großdeutschen Attitüde“ schuldig sprechen.

Zum anderen aber dürfte Clynes Sprachkompetenz einfach nicht ausreichen, von Australien aus durch Ferndiagnose einzelne Wörter oder Aussprachevarianten in ihrer geographischen Ausbreitung und sozialen oder – horribile dictu – dialektalen Markierung richtig zu beurteilen, und so müssen immer wieder pauschale völkerpsychologische und soziolinguistische Dogmen die fehlende Empirie ersetzen: Österreich habe eine „Tradition des Wortspiels und der Scherzfrage“, während der „deutsche Humor weniger sprachlich fundiert ist“; in Österreich erreiche man im Gegensatz zu Holland oder Deutschland das „Ziel der Kommunikation am ehesten durch Übertreibung“ (Clyne 1982: 62), wozu Clyne auf ein Werk verweist, dessen Autor er in der Bibliographie falsch angibt („Becker K.“ statt: Henrik) und das nicht, wie Clyne behauptet, Neustupnýs Sprechbund-Theorie enthält; Wien wäre – ungeachtet seiner Randlage und der dialektalen Gliederung Österreichs – das alleinige Zentrum des ÖD und übe „seinen Einfluss auf die Sprache der Gebildeten in den Provinzstädten (Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck) aus“ (Clyne 1982: 61). Der vermeintliche Polyzentrismus gerät also sehr rasch zu einem Wiener Monozentrismus. Dass drei der genannten „Provinzstädte“ tatsächlich in einem vergleichsweise geschlossenen Wirtschafts- und Verkehrsraum liegen und viele als typisch ostösterreichisch empfundene Eigentümlichkeiten teilen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wiener Sprachgepflogenheiten in Innsbruck sicher nicht Vorbild der Innsbrucker „Gebildeten“ sind und dass eine von Clyne nicht genannte „Provinzstadt“, Bregenz, gar nicht dem bairischen Mundartbereich angehört.

Wie sehr sich Clyne damit den Blick auf die sprachliche Wirklichkeit verstellt, mag beispielhaft seine Behauptung verdeutlichen, im ÖD werde entgegen dem mundartlichen Gebrauch häufig das Präteritum verwendet, „um einen Wechsel zu einem höheren Register auszudrücken, egal ob dies den Aspektregeln des Standarddeutschen entspricht“ (Clyne 1982: 60) – wobei nebenbei bemerkt fragwürdig ist, ob Präteritum und Perfekt im Deutschen tatsächlich verschiedene Aspekte bezeichnen. Was Clyne für das ÖD behauptet, gilt jedoch nur für das feine Wienerische, d.h. aus Hyperkorrektheit wird dort tatsächlich künstlich und bewusst das im gesprochenen Süddeutschen allein gängige Perfekt gemieden, d.h.: was Clyne als typisch österreichisch bezeichnet, ist eine stilistische Besonderheit einer bestimmten Art des Wienerischen, die bezeichnenderweise gar nicht heimischem Sprachgebrauch folgt, sondern aus unvollständiger Nachahmung des bundesdeutschen Deutsch entstand. Auf ganz ähnliche Weise wird von vielen Wiener Sprechern das in Österreich und Bayern (bis einschließlich Franken) durchaus lebendige Grüß Gott! durch das feinere Guten Tag! ersetzt, um sich von der umliegenden Landbevölkerung deutlich abzusetzen.

Vor einer Sichtung der von Clyne angeführten Austriazismen, die wie gesagt nicht auf eigenen Studien beruhen, sei jedoch entschuldigend darauf verwiesen, dass Clyne zur Gänze auf früheren Austriazismen-Sammlungen aufbaut und seine deutsche Sprachkompetenz, wie nicht wenige Fehler im Aufsatz belegen, keine selbständige Würdigung erlaubte und er eine solche auch nicht behauptet. So verwechselt er z.B. die Konjunktion ehe mit der ugs. Redepartikel eh und behauptet irrtümlich, „ehe (ohnehin)“ sei österreichisch (Clyne 1982: 59) – falls es eines Gegenbeweises bedürfte: in einer der beliebtesten Daily Soaps auf RTL, GZSZ, die sicherlich von jeglichen Austriazismen frei ist, benutzte, gerade als diese Zeilen in die Endfassung gebracht wurden, die (Ost-) Berliner Schauspielerin Rhea Harder mehrmals die fragliche Partikel eh! Noch zwei weitere Fehlurteile, die Clynes fehlende Deutsch-Kompetenz exemplarisch illustrieren sollen: „Jause“ erklärt er zum Synonym für „Kaffee“ (Clyne 1982: 58), dann wäre aber in der Tat unerklärlich, wieso das ÖD einen so fest verwurzelten Begriff wie Kaffee durch „Jause“ ersetzen sollte. Etymologisch ist von einem südslawischen Wort für Mittag(essen) auszugehen, doch ist Jause ist ein tageszeitenunabhängiger Imbiss, für den es im Standarddeutschen kein wirkliches Äquivalent gibt. Zur Jause kann auch Kaffee getrunken werden, doch bezeichnet Jause die Festspeise oder die gesamte Mahlzeit, auch eine Speckjause mit Bier wäre denkbar. Im übrigen hätte Clyne mit diesem Wort einen der ganz wenigen echten Austriazismen, die tatsächlich standardsprachlich und über das gesamte Staatsgebiet verteilt sind, genannt, doch schränkt er – wahrscheinlich zu Unrecht – die Austriazität ein und ordnet das Wort als allgemein süddeutsch ein, weshalb er es – so wie viele andere Wörter, denen er nachträglich in Fußnoten süddeutsche Geltung bescheinigte – gar nicht als Beweis für die Existenz eines ÖD aufgreifen sollte. Nicht nur ungebräuchlich ist die nicht diminuierte Form „Schwamm“ für Pilz (auch wenn das ÖW diese Form neben Schwammerl verzeichnet), sie ist v.a. ganz und gar nicht auf Österreich beschränkt und zudem liegen die Dinge ähnlich kompliziert wie bei den oben erwähnten Gerösteten: Schwammerl (bzw. das hyperkorrekt klingende Schwamm) ist nämlich nicht nur eine sogar noch weit über Bayern nach Norden hinausgreifende und somit keineswegs österreichische Form (König 1998: 224), sondern v.a. kein echtes, national-komplementär verteiltes Synonym zu Pilz, es bezieht sich nämlich meist auf Eierschwammerl (Pfifferling) und in etlichen Fügungen muss auch in Österreich ‑pilz stehen (z.B. Fliegenpilz, niemals *Fliegenschwammerl – das ÖW hilft wieder einmal nicht weiter, denn es kennt diese durchaus nicht seltene und Glück symbolisierende Pflanze gar nicht, weshalb das Wort in staatlichen Schulen wohl nicht verwendet werden dürfte), zudem gibt das ÖW den (laut Clyne) Teutonismus Pfifferling als westösterreichische Form statt Eierschwammerl an – all dies schwächt den Status des Wortes Schwammerl als eines echten Austriazismus entscheidend.

Wie steht es also um die von Clyne in beeindruckender Zahl wiedergegebenen lexikalischen, phonetischen, idiomatischen und mentalitätsgeographischen Austriazismen? Zum einen sind es durchwegs allgemein süddeutsche Erscheinungen wie z.B. der stimmlose s-Anlaut oder das weitgehende Fehlen des Knacklautes bei vokalisch beginnenden Wörtern/Silben, zum andern handelt es sich aber um rein Wienerische oder ostösterreichische Formen, die im Westen auf entschiedene Ablehnung stoßen und sicher nicht die alleinige Führungsrolle des Zentrums Wien für das gesamte Staatsgebiet bekunden, so etwa die Monophthongierung von ei und au, die Clyne seltsamerweise auch noch als „nasaliert“ bezeichnet (Clyne 1982: 58) oder Ausdrücke wie „Wämmerl“, das selbst nach dem ÖW nicht existiert und in Ebners Wie sagt man in Österreich? auch in der umfangreichsten Auflage von 1998 nicht aufscheint, obwohl Clyne vorgibt, aus der ersten Auflage genau dieses Repertoriums zu schöpfen (Clyne 1982: 58f); viele der angeblichen Austriazismen sind wohl auch in Wien längst außer Gebrauch, z.B. „Kommissär“ oder „Affaire“ in französischer Schreibweise, ebenso die Wendung „etwas mit Fleiß tun“ im Sinne von zu Fleiß tun (d.h. jmd.em zu Trotz, gegen jemandes Willen), was aber ein ganz allgemein süddeutscher Ausdruck ist, ja selbst das in Österreich unüblichere mit Fleiß ist lt. Duden nicht nur „veraltend“, sondern „landschaftlich“, also nicht Österreich-spezifisch. Oft scheint sich Clyne auch nicht der stilistischen Markiertheit der sog. Austriazismen oder besser: Vindobonismen (Wienerischen Formen) bewusst zu sein, denn die Monophthongierung etwa, die über Jahrzehnte hindurch die Aussprache auch der Bundesregierung prägte, wird man am derzeitigen Kanzler (Wolfgang Schüssel) vermissen, obwohl er natürlich auch ein echter Wiener ist, eine vermeintlich österreichische Eigenheit entpuppt sich also als Wiener Soziolekt und nicht einmal als Dialekt. Die von Clyne als ÖD charakterisierte Aussprachegewohnheit [st] in Fremdwörtern („Strategie“) wird auch ein Wiener als geziert und unüblich betrachten, während die am Italienischen orientierte Aussprache [ko:pje] für Kopie auch in Wien mittlerweile sicher als altertümlich gilt. Im übrigen wäre es auch erhellend, Clynes Austriaca-Sammlung systematisch mit Ebner und dem ÖW zu vergleichen, um Widersprüche festzustellen, wie sie in einer Kodifizierung dann nicht vorliegen sollten, wenn die zugrundeliegende Sprachform real wäre: „Ersparnis“ etwa darf laut dem allein verbindlichen ÖW nur als Femininum gebraucht werden, so wie im Standarddeutschen, dennoch hält Clyne daran fest, dass es „das Ersparnis“ heißen müsse (Clyne 1982: 60).

Es dürfte hinlänglich klar geworden sein, dass ein Aufsatz wie jener von Clyne nicht ernsthaft als Grundlage einer national-österreichischen DaF-Didaktik herangezogen werden sollte, und eine Einzelbesprechung all der Pseudo-Austriazismen scheint verzichtlich, es sei nur abschließend auf einen möglicherweise aufschlussreichen Lapsus verwiesen: in Clynes Aufsatz stand ursprünglich für die im ÖW als bundesdeutsch und somit in Österreich unzulässig gebrandmarkten Wörter der Ausdruck: „bundesdeutsches Lehngut“, der aber nach der Vervielfältigung und noch vor der Verteilung des Tagungsbandes handschriftlich zu „Wortgut“ abgeschwächt wurde. Clyne scheint ursprünglich das ÖD als so eigenständig aufgefasst zu haben, dass er Teutonismen gar als „Lehnwörter“ und das bundesdeutsche Deutsch regelrecht als Fremdsprache empfand. Daran ändert auch nichts, dass er von der Warte der ÖW-Verfasser aus deren Vorgangsweise referiert, denn er billigt diese ausdrücklich und betrachtet es als Fortschritt, dass das ÖW dieses „Lehn‑/Wortgut“ als fremd kennzeichnet.

 

4. Michael Ebners Wie sagt man in Österreich?

Eine rasche Sichtung des unter einem beliebig ausgewählten Buchstaben angehäuften Materials erweist sehr rasch die Brüchigkeit des Austriazismen-Konzepts. Der Buchstabe P etwa umfasst insgesamt 431 Einträge, ist also überdurchschnittlich umfangreich und somit repräsentativ. Bereits auf ersten Blick erweist sich diese hohe Zahl aber als trügerisch, denn viele Wörter scheinen jeweils bis zu neun Mal auf, obwohl ihnen ein und dasselbe Lexem zugrunde liegt: „Powidl“ begegnet z.B. als „Powidlknödel“, „Powidlpafese“ (obwohl neben dem Grundlexem „Powidl“ auch „Pafese“ selbständig angeführt wurde) usw., „picken“ (für kleben, haften) als: „Pick“ (Klebstoff), „pickig“ (klebrig) usw., das für sehr preußisch auftretende Deutsche gebrauchte Schimpfwort „Piefke“ auch als „Piefkeland, piefkinesisch, piefkonisch“ – letzteres absolut ungebräuchlich. Zudem werden Querverweise auf regelmäßige Schreib- und Aussprachevarianten (z.B. Verwischung von Mediæ und Tenues: „Pinkel“ neben „Binkel“) und l-Diminutiva („Papiersack“ und „-sackerl“) mehrfach gezählt. Wollte man also anstelle aller erdenklichen Ableitungen bzw. Zusammensetzungen, Querverweise und Varianten wirklich nur Grundlexeme werten, schmölze die Zahl der P-Artikel von 431 auf 249 zusammen. Hochgerechnet bestünde der gesamte Band aus 4.100 statt 7.000 „Austriazismen“, was dem Stand der zweiten, d.h. der Vorgänger-Auflage entspräche. Doch auch Eigennamen wie „Pummerin“ (Glocke im Wiener Stefansdom), „Prater“ oder „pannonisch“ (das Ebner in seinen Beispielen – trotz eindeutigen Bezuges auf Gesamt-Pannonien – falsch als „burgenländisch“ bzw. sogar „altburgenländisch“ deutet – das „Burgenland“ bildete als Teil Ungarns bis 1918 gar keine Verwaltungseinheit, auch der Name dieses Bundeslandes musste nach dem Ersten Weltkrieg als Verlegenheitslösung regelrecht erfunden werden!), Spitznamen wie „Pepi“ (von ital. „Beppe / Pepino“ zu „Giuseppe“), altertümliche katholische Festtagsbezeichnungen („Philippi“, „Peregrini“-Fest) und lat. Phrasen wie das seltene „PT = pleno titulo“ (das vielleicht ohnehin besser als præmissis titulis zu übersetzen wäre) oder „in puncto“ (das üblicherweise auch in Österreich so und nicht verkürzt „punkto“ lautet, wie Ebners Beispielsatz glauben macht) belegen gewiss keine sprachliche Sonderstellung des ÖD. Zum Teil werden Austriazismen erst durch den falschen Ansatz bundesdeutscher Formen gewonnen, so glaubt Ebner, „Pankraz“ werde in Deutschland auf der letzten Silbe betont, wofür es freilich selbst in einem norddeutschen, dem ÖD möglichst entfernten Namensbuch keine Anzeichen gibt (Mackensen: 1990), auch andere apodiktische Gegenüberstellungen entbehren jeder Grundlage, etwa die Feststellung, „Pingpong“ werde im ÖD auf der letzten Silbe und nur im bundesdeutschen Deutsch auf der ersten betont. Sodann sind Sachspezifika auszuscheiden, denn Wörter wie „pädagogisch“ oder „Akademie“ werden nicht deshalb zum Austriazismus, weil die Lehrerbildungsanstalt ähnlich wie die höhere, fünfjährige Handelsschule hochtrabend zur „Akademie“ und die verbliebenen humanistischen Gymnasien zu „akademischen Gymnasien“ erhoben wurden; auch die „Polytechnische Schule“ ist lt. Duden in Deutschland bekannt, somit nicht ÖD. Vom Sachspezifikum-Kriterium sind eine Reihe von lokalen Speisen betroffen, die außerhalb der betroffenen Gegend unbekannt sind, woher sich auch das Fehlen konkurrierender teutonischer Bezeichnungen erklärt. Gesamt-österreichisch sind diese Ausdrücke größtenteils ohnehin nicht (z.B. „Patentweckerl, Pogatsche, Potitze“ – den ersten Ausdruck kennt selbst das ÖW nicht), oder aber sie sind auch bairisch („Panadelsuppe“). Auch regionales Brauchtums-Vokabular wie „Palmbuschen“ (das obendrein allgemein süddeutsch ist) oder „Percht / Peaschtln“ oder „platteln“ (auch bairisch) für „Schuhplattler tanzen“ dürfte nicht als ÖD gezählt werden, weil ganz einfach das solcherart benannte Ding andernorts nicht vorkommt.

Von den rund 200 verbleibenden Wörtern, die nicht bereits aus den genannten systematischen Gründen ausscheiden mussten, sind rund 25 – Ebners eigener Klassifizierung zufolge – auch bairisch, können also qua allgemein süddeutsche oder zumindest bairisch-österreichische Formen niemals ein nationales ÖD begründen und gehören vielfach auch nicht der neutralen, unmarkierten Rede an, sondern sind eindeutig umgangssprachlich und / oder mundartlich (z.B. „patzen, petschiert, pflatschen, pimpern, Plache, Plätte, Plausch, Plutzer, Pofel – das angeblich in Deutschland ugs. und in Bayern / Österreich Standard sein soll –, pölzen, Postler“).

Eine sehr große Gruppe, nämlich an die 50 Wörter, beruht darauf, dass für eine Reihe seltener und fremder Wörter minimale Aussprache- oder Schreibvariationen vorliegen, die Ebner mit mehr oder weniger Recht komplementär auf das österreichische und bundesdeutsche Staatsgebiet projiziert, wobei er selbst oft einräumt, dass es eine einheitliche bundesdeutsche Form, zu der die österreichische in klar erkennbarem Gegensatz stünde, nicht gibt. So ist etwa nicht einzusehen, mit welchem Recht „Plastilin“ als Austriazismus gelten soll, nur weil es in Deutschland auch eine Nebenform „Plastilina“ (= italienischer nome commerciale) gibt, die in Österreich aber ungebräuchlich ist, „putzen (sauber machen)“ ist auch kaum österreichisch, wenn es, wie Ebner selbst angibt, auch „westdt., süddt.“ und „schweiz.“ ist, und „Patin“ wird nicht dadurch zum Austriazismus, dass in Deutschland irgendwann die historisch gesehen unberechtigte Verwendung des Maskulinums Pate auch als Femininum – neben der movierten allgemein üblichen Form – aufkam. Auch „Postkarte“ kann kaum als Nachweis für die Existenz eines ÖD dienen, bloß weil in Deutschland dieses Wort – angeblich eher als in Österreich – mitunter auch, ungenau, für „Ansichtskarte“ benutzt wird. Ebenso wenig macht der Umstand, dass das Patenregister in Deutschland Patentrolle heißt, aus dem allgemeinen Wort einen Austriazismus. Der Großteil der Fremdwortgruppe aber dreht sich um minimale Aussprachevarianten, die wenig mit Staatsgrenzen und nationaler Differenzierung zu tun haben, so soll es in Österreich „Pediküre / Polonaise“ ohne Schluß-e, in Deutschland aber mit solchem heißen, im veralteten „Paletot“ soll das e in Österreich im Gegensatz zur bundesdeutschen Aussprache stumm sein. „Parfum“ soll Schweizer und österreichische Schreibweise sein, wofür in Deutschland „Parfüm“ stehen soll, aber ebenfalls mit nasaler Aussprache. „Piccolo“ schreibe man in Deutschland „Pikkolo“, „Passepoil“ soll auf Österreich beschränkt sein, in Deutschland sage man „Paspel“, was aber Duden als „selten“ qualifiziert. Dass auch diese Varianten kaum Anlass geben, von einer nationalen Varietät namens Österreichisch zu sprechen, dürfte einleuchten, auch dürfte eine groß angelegte empirische Materialerhebung zeigen, wie wenig die Varianten und Unsicherheiten im Umgang mit diesen schwierigen Wörtern den Staatsgrenzen folgen. Dass der Eigenname „Pippin“ in Österreich auf der ersten und in Deutschland „meist“ auf der zweiten Silbe betont werden soll, ist unbegründet, auch scheinen manche Beobachtungen unvollständig, so betont Ebner, „Pension“ werde in Deutschland nur im Zusammenhang mit der Beamtenrente verwendet, doch zeigt ein Blick auf die Homepages einiger großer Lebensversicherer rasch, dass dem nicht so ist, auch wenn „Pension“ tendenziell in Österreich häufiger ist, wo Rente oder Rentner unhöflich klingt. Z.T. scheint Ebner auch nicht hinreichend mit bundesdeutschen Usancen vertraut zu sein, denn passen im Sinne von in Ordnung sein ist in Deutschland genauso sehr oder genauso wenig in Gebrauch wie in Österreich.

Eine Gruppe von rund zehn Wörtern, die Ebner auffälligerweise nicht als stilistisch oder sonst wie markiert kennzeichnet, sind völlig unverständlich und selbst in Ostösterreich dürfte die Mehrzahl der Sprecher diese Wörter bei Wertlegung auf korrektes Deutsch – österreichisches oder gewöhnliches – meiden: frz. „Pouvoir“ und it. „Parere“ sind völlig veraltet, die Langform „Pneumatik“ für Reifen dürfte auf einem Missverständnis Ebners beruhen, bestenfalls könnte Pneu diese Bedeutung haben, auch das ÖW kennt die von Ebner behauptete Gebrauchsweise nicht. Dass hingegen ausgerechnet der Duden Ebners Sondergebrauch als österreichisch verzeichnet, besagt wenig, denn viele im Duden als Austriazismen angeführte Wörter sind – samt Erklärung – Ebners ebenfalls im Duden-Verlag erschienenem Büchlein entnommen. „Polizeikotter“ für Gefängnis ist veraltet, „Pawlatsche“ und alle Zusammensetzungen sind bestenfalls Ostösterreichern bekannt, „Pipe“ für Wasserhahn ist stark ugs. – und so weiter und so fort.

Rund 50 Austriazismen fühlt sich Ebner durch Zusätze wie „veraltet, mundartlich, umgangssprachlich“ oder sogar „Slang“ (im Falle von dem witzig sein wollenden Journalisten-Wienerischen Ausdruck „sich ins Pendel hauen“ für sich erhängen) zu klassifizieren verpflichtet. Was Wörter wie „Pimperl (Penis)“, „pudern (koitieren)“, „Packeln (Fußballschuhe)“, „Platte (Verbrecherring)“ oder „Pompfüneberer (Bediensteter eines Bestattungsunternehmens)“ in einer „Darstellung der Standardsprache in Österreich“, als welche Ebner sein Büchlein ausdrücklich deklariert (Ebner 1998: 7), verloren haben, dürfte nur einem eingeschworenen Verfechter des ÖD einleuchten. Wörter wie diese stellen nichtsdestoweniger den harten Kern einer jeden Übersicht über lexikalische Austriazismen dar und bestehen, wie unschwer zu erkennen, aus ostösterreichischen Dialekt- und oft auch nur Soziolektformen, gegen deren Verwendung sich auch Ostösterreicher mit Bildungsanspruch entschieden sträuben dürften. Auch die wenigen in Gesamt-Österreich gängigen Wörter wie „Patschen“ für Hausschuhe oder „Pflanz(erei)“ für Fopperei sind zumindest stark umgangssprachlich konnotiert, wobei der allergrößte Teil aber für Westösterreicher ganz und gar unverständlich ist („palisieren“ für davonlaufen, „Pantscherl“ für Flirt, „pofeln“ für rauchen, „jmd. papierln“ für mundtot machen) oder typisch Wienerisch wirkt („Pallawatsch, das Pyjama, Pülcher“ usw.). Eigenartigerweise versuchte auch Ebner, so wie schon das ÖW, durch Aufnahme einiger weniger rein westösterreichischer Alibi-Wörter dem mehr als berechtigten Vorwurf der Ostlastigkeit zu begegnen, so finden sich nun auch ein als Ost-Tirolerisch klassifiziertes Wort: „pitschen (Teigränder mehrfach umlegen)“.

Nicht alles freilich ist zu verwerfen, was Ebner als nationalen Standard ausgibt: rund 20 der 431 unter P angeführten angeblichen Austriazismen können durchaus vorerst, d.h. bis zum Vorliegen einer vertrauenswürdigen empirischen Basis, als Anwärter auf den Austriazismen-Status angesehen werden, doch wieder zeigt sich, dass diese Wörter auf bestimmte Bereiche, nämlich hauptsächlich Küche und Verwaltung, beschränkt sind und nicht unbedingt der Alltagsrede angehören: „Pennal“ im Sinne von Federpennal und „Probelehrer“ begegnet kaum außerhalb des Schuljargons, „Panier“ kaum außerhalb der Küche oder ohne Wiener Schnitzel, „pragmatisieren“ wiederum nur im Zusammenhang mit der Verbeamtung, „Präsenzdienst“ als Euphemismus für Wehrdienst und „perlustrieren“ nur bei sehr ernsten Polizeikontrollen, „Primar“ nur in der Klinik-Hierarchie usw., zudem grenzen manche Wörter durchaus an eine umgangssprachliche Stilebene („Packelei“, „Pleitier“) und dürften bei stilbewusster Aussage gemieden werden und „präpotent“ in der (italienischen Bedeutung) arrogant wird nur als Schimpfwort benutzt.

Kurzum: nur ein winziger Bruchteil der angeblichen Kennwörter des österreichischen nationalen Standards hält einer Überprüfung stand, und ob diese echten Austriazismen wie „Pfusch“ für das ebenso gebräuchliche und fraglos als standardgemäßer empfundene Schwarzarbeit oder „Petersil“ tatsächlich von solch großer Wichtigkeit sind, dass sie im DaF-Unterricht eine herausragende Rolle spielen dürfen, bleibe dahingestellt.  Es steht aber zu befürchten, dass die ÖD-Mode noch eine Weile andauert und sich sowohl das ÖW als auch Ebner und der Duden weiterhin im Ansammeln angeblicher ÖD-Varianten zu überbieten versuchen werden. Auch ob das lt. Homepage des Innsbrucker Teams im „Juli 2000“ zu Ende gegangene deutsch-schweizerisch-österreichische Projekt Wörterbuch der nationalen und regionalen Varianten der deutschen Standardsprache eine glücklichere Klassifizierung und eine Abkehr von nationalen Ideologien mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Wie aus Mitarbeiterkreisen zu vernehmen ist, spricht sich die Leitung des Projekts jedoch gegen „zu kleinräumige“ Abgrenzungen aus, es wird also wohl dabei bleiben, dass auch weiterhin Dialektausdrücke kurzerhand zu nationalsprachlichen Merkmalen umbenannt werden.

Es sei zum Abschluss nochmals betont, dass eine Sammlung lokaler und regionaler (auch Substandard‑) Ausdrücke legitim ist und Ausländern bei der Lektüre entsprechender moderner (ost‑) österreichischer Literatur gelegen kommen mag, doch sollte jede nationale, allzu oft ins Chauvinistische abgleitende Ideologie beiseite gelassen und das zusammengetragene Material deutlicher gekennzeichnet bzw. die disparaten Quellen (Dialektschriftsteller, idiosynkratische Journalisten-Redeweise, lokale Kochbücher u.dgl.) kritischer verwertet werden. Ansonsten kann es geschehen, dass ein rein bundesdeutscher Ausdruck, nämlich ein (mildes) Schimpfwort für Österreicher, allen Ernstes zum Austriazismus erklärt wird: tatsächlich traf Ebner in Artikeln der Presse und der Tiroler Tageszeitung auf das Wort Ösi und erhob dieses kurzerhand zu einem Kennwort des ÖD, obwohl sich kein Österreicher jemals als „Ösi“ bezeichnen wird – dass in beiden Fällen ironische Verfremdung vorlag, bemerkte Ebner offenkundig nicht. Wieweit nun DaF-Lehrer in ihrem Unterricht Varianten berücksichtigen sollen, muß jeder bedarfsgerecht für sich entscheiden, doch wird man in den allermeisten Fällen ohne Nationalideologie auskommen. Oft werden gerade jene Merkmale, die das Süddeutsche allgemein kennzeichnen, viel wichtiger als angebliche oder wirkliche national-österreichische Erscheinungen sein und Erwähnung verdienen, obwohl diese süddeutschen Gemeinsamkeiten gerade in der von den angeblichen nationalen Standards dominierten Beschreibung der Varianten  unterzugehen drohen. Kaum ein Lehrbuch oder eine Darstellung der nationalen Varianten erklärt dem Lernenden, dass im gesprochenen Deutschen in weiten Gebieten die alte Dualendung in der 2. Person Plural. fortlebt. Diese Erklärung wäre hilfreicher als die albernen Paradeiser- und Erdäpfel-Doppelformen, allerdings würde dieser Hinweis der gewünschten nationalen Sprachbeschreibung nicht gerecht und beträfe nur das gesprochene Deutsch, womit der Mantel des Schweigens über ein Beispiel wie: „komm-z ihr mit?“ fällt. Auch sollte man im nationalen Übereifer nicht Erscheinungen als österreichisch beanspruchen, wenn sie weitere Geltung haben. Unbewusst chauvinistisch ist es, wenn etwa Fasch fordert, man müsse ausländischen Lehrern erklären, „wann man in Österreich Grüß Gott! sagt“ (Fasch 1997: 311) – falsch: man muss erklären, dass man in Bayern und Österreich (mit gewissen Ausnahmen wie z.B. dem – österreichischen – Wien) nicht Guten Tag sagt, auch wenn dies nicht der nationalen Ideologie der Austriazismen entspricht. Das Dilemma sei an folgendem Zweispalt aufgezeigt: Auch Muhr ist sich darüber klar, dass zumindest im Fremdsprachenunterricht die Maxime „überregional produzieren, aber regional rezipieren“ heißen muß (Österreichisches Sprachdiplom 2000: 48) und man DaF-Studenten eine  überregionale Norm vorgeben soll, doch dann listet er im Katalog der vermeintlich österreichischen Nationalformen, die Ausländer zumindest aktiv kennen müssen, doch wieder rein ostösterreichische Mundart‑/Slang-Merkmale auf, z.B. die in Westösterreich als häßlich und lächerlich empfundene Aussprache [hy:fe] für „Hilfe“ (Österreichisches Sprachdiplom 2000: 48), ganz so als müsse für ein Sprachzertifikat auch ein Italienisch-Student napoletanischen Slang und ein Englisch-Student Cockney oder australische Sonderformen verstehen können.

 

Anhang:

Im folgenden ist die Variante „Deutsches Standarddeutsch“ von Ammons Kunsttext und – in eckigen Klammern – das angebliche Österreichische Standarddeutsch wiedergegeben. Die aus Ammon mit übernommenen Unterstreichungen geben an, daß diese Wörter und Formen in einem oder in mehreren der Vergleichstexte anders lauten.

Wäre ich Abstinenzler, dann wäre mir das nicht passiert. Nach dem Abendessen [Nachtmahl] – Rinderbraten [Rindsbraten] mit Bratkartoffeln [Gerösteten] und Rotkohl [Blaukraut] – trank ich noch ein Viertel Weißwein. Dann schwang ich mich auf mein Fahrrad, um zu meiner Wohnung zu fahren, die in einem alten Fachwerkhaus innerhalb der Stadtmauer liegt. Mir wurde plötzlich so schwindelig [schwindlig], daß ich die Kontrolle verlor und zuerst einen Omnibus [Bus] streifte und dann auf ein Auto auffuhr, das gerade an der Ampel [vor der Ampel] wartete. Der Autofahrer stieg aufgeregt aus. Er war aber nur um sein Auto besorgt und kein bißchen um meine etwaige [allfällige] Verletzung. Er wollte mich gleich anzeigen, als er den Kratzer in [an] seinem Kotflügel sah, und drohte mit Polizei und Rechtsanwalt [Anwalt]. Ich wurde vor Aufregung ohnmächtig. Als ich wieder aufwachte, lag ich auf dicken Kissen [Pölstern]. Über mir hörte ich ein Radio. Es war zuerst die Rede vom Zugverkehr [Zugsverkehr] und dann von einem betrunkenen Radfahrer, der einen Verkehrsunfall verursachte. Es war das erste Mal, daß im Rundfunk über mich berichtet wurde.

 

Literatur

Ammon, Ulrich (1995) Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin & New York: Walter de Gruyter.

Clyne, Michael (1982) Österreichisches Deutsch und andere Nationalvarianten: Zur Frage Sprache und Nationalidentität. In: Das Problem Österreich. Arbeitspapiere. Interdisziplinäre Konferenz über Geschichte, Kultur und Gesellschaft Österreichs im 20. Jahrhundert. Germanistisches Institut, Monash Universität. 16 – 18 Mai, 1980 [sic], 54-67.

Duden. Deutsches Universal Wörterbuch A-Z (31996). Mannheim: Dudenverlag.

Ebner, Michael (31998) Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des österreichischen Deutsch. (= Duden Taschenbücher, Band 8). Mannheim: Dudenverlag.

Fasch, Christa (1997) Österreichisches Deutsch als Exportartikel. Über die Schwieirgkeiten der Vermittlung einer nicht näher definierten Sprache. In: Österreichisches Deutsch und andere nationale Varietäten plurizentrischer Sprachen in Europa. Hgg. Rudolf Muhr und Richard Schrodt. (Materialien und Handbücher zum österreichischen Deutsch und zu Deutsch als Fremdsprache, Band 3). S. 305-13. Wien: Hölder-Pichler-Temsky.

Foschi Albert, Marina (31999 [11995]) Breve storia della lingua tedesca. (= Jacques e i suoi quaderni, Band 24*). Pisa : Tipografia Editrice Pisana.

Glauninger, Manfred (1997) Zum Wortschatz des Österreichischen Deutsch – Empirische Daten. In: Österreichisches Deutsch und andere nationale Varietäten plurizentrischer Sprachen in Europa. Hgg. Rudolf Muhr und Richard Schrodt. (Materialien und Handbücher zum österreichischen Deutsch und zu Deutsch als Fremdsprache, Band 3). S. 172-198. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky.

Kimura, Naoji (1997) Österreichischer Wortschatz in einem deutsch-japanischen Wörterbuch. In: Österreichisches Deutsch und andere nationale Varietäten plurizentrischer Sprachen in Europa. Hgg. Rudolf Muhr und Richard Schrodt. (Materialien und Handbücher zum österreichischen Deutsch und zu Deutsch als Fremdsprache, Band 3). S. 314-329. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky.

König, Werner (121998) dtv-Atlas Deutsche Sprache. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Mackensen, Lutz (71990) Das große Buch der Vornamen. München: Südw-est.

Muhr, Rudolf (1997) Zur Terminologie und Methode der Beschreibung plurizentrischer Sprachen und deren Varietäten am Beispiel des Deutschen. In: Österreichisches Deutsch und andere nationale Varietäten plurizentrischer Sprachen in Europa. Hgg. Rudolf Muhr und Richard Schrodt. (Materialien und Handbücher zum österreichischen Deutsch und zu Deutsch als Fremdsprache, Band 3). S. 40-66. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky.

Österreichisches Sprachdiplom (2000). (Materialien und Handbücher zum Österreichischen Deutsch und zu Deutsch als Fremdsprache, Band 4). Wien: Österreichischer Bundesverlag und Hölder-Pichler-Tempsky.

Österreichisches Wörterbuch (381998). Wien: ÖBV & hpt.

Weigel, Hans (1967) O du mein Österreich. Zürich: Artemis-Verlag.

 

Biographische Angaben

Martin Putz arbeitet als Sprachlehrer und Gerichtsdolmetscher, war zuletzt drei Jahre an der Universität Pisa als Austauschlektor und zuvor schon als Deutsch-Assistent an einem Gymnasium in Rom beschäftigt. Nach einem Diplom- und Lehramtsstudium in Latein/Italienisch schloß er verschiedene sog. Erweiterungsstudien (Skandinavistik, Griechisch, Philosophie) ab, studierte in England (Master of Arts) und Reykjavík Isländisch und promovierte Anfang dieses Jahres an der Universität Innsbruck (Antikenrezeption in der italienischen Gegenwartsliteratur). Neben einer Finnisch-Grammatik veröffentlichte er fachdidaktische Aufsätze und Rezensionen in internationalen Zeitschriften wie skandinavistik, Amsterdamer Beiträge zur Älteren Germanistik, Speculum, Mediaevistik oder alvíssmál.



[1] Vgl. www.univie.ac.at/ksv/history/ksv_h3.htm