Umsetzung der Eurodidaktik des
Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens in den Sprachkursen der
Goethe-Institute in Deutschland
Das Goethe-Institut Inter
Nationes ist seit Jahren an der Diskussion und Ausgestaltung der europäischen
Sprachenpolitik beteiligt, u.a. durch Mitwirkung an zahlreichen Projekten.
Die deutsche Fassung des Referenzrahmens, ein trinationales Kooperationsprojekt
unter Federführung des Goethe-Instituts, liegt seit Mitte 2001 vor. Im Juli
dieses Jahres erschienen die von Europarat und Goethe-Institut initiierten
Profile Deutsch, die für die Referenzniveaus A1–B2 Lernzielbeschreibungen,
detaillierte Kann-Beschreibungen und kommunikative Mittel für Deutsch als
Fremdsprache enthalten. Eine Fortsetzung des Projekts für die Niveaus C1 und
C2 ist in Planung. Ein neuer GI-Einstufungstest[1] für Sprachkenntnisse in Bezug auf die europäischen
Referenzniveaus wurde kürzlich fertig gestellt und kann ab Oktober 2002 an
den Goethe-Instituten im In- und Ausland eingesetzt werden. Für die Niveaus
A1 und A2 wurden neue Prüfungen für Zuwanderer nach Deutschland entwickelt.
In den nächsten Monaten wird an sechs europäischen und zwei Inlandsinstituten
ein Probelauf mit dem Sprachenportfolio in der EAQUALS-ALTE
- Version stattfinden.
Teil 1: Gemeinsamer
Europäischer Referenzrahmen für Sprachen, Europäisches Sprachenportfolio,
Profile Deutsch
In diesem ersten
Teil werden einige wichtige Funktionen und Aspekte des Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmens für Sprachen, des Europäischen Sprachenportfolios und Profile
Deutsch zusammengefasst. Im zweiten Teil des Aufsatzes wird die Umsetzung
dieser didaktischen Initiativen an den Goethe-Instituten in Deutschland vor
diesem Hintergrund beschrieben.
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen
Der Gemeinsame europäische
Referenzrahmen[2] ist ein wichtiges Resultat der Sprachenpolitik des
Europarates mit der Zielsetzung Vielsprachigkeit und Mobilität in Europa zu
fördern.
Ziel des
Referenzrahmens ist es, das Sprachenlernen auf allen Ebenen weiterzuentwickeln,
um
·
die Kooperation zwischen den Bildungseinrichtungen in den verschiedenen
Ländern zu fördern und zu erleichtern,
·
eine Basis für die gegenseitige Anerkennung von sprachlichen
Qualifikationen zu schaffen,
·
eine Hilfe für Lernende, Lehrende, Curriculumentwickler,
Bildungseinrichtungen und ‑Verwaltung anzubieten, denen er zur Planung
von selbstbestimmtem Lernen, von Sprachlernprogrammen und Sprachzertifikaten
dienen soll.
Der Referenzrahmen
hat den Anspruch Sprachverwendung und Sprachenlernen umfassend, transparent und
kohärent darzustellen und geht von einem handlungsorientierten Ansatz aus, der
Sprachenlernende als sozial Handelnde betrachtet. Der Schwerpunkt liegt daher
auf kommunikativen Kompetenzen, prozeduralem Wissen und Strategien.
Die Sprachkompetenz
eines Lernenden aktiviert sich in kommunikativen Sprachaktivitäten, die
Rezeption, Produktion, Interaktion und Sprachmittlung (wie Dolmetschen,
Übersetzen) umfassen. Thematisch werden die Sprachaktivitäten vier
Lebensbereichen zugeordnet, das sind der private, der öffentliche, der
berufliche und der Bildungsbereich.
Kohärenz und
Transparenz werden erreicht durch die Kompetenzbeschreibungen, die sowohl die
Auswahl von Lernzielen, sprachlichen und thematischen Inhalten steuern als auch
zur Beurteilung der Lernleistungen und des Lernfortschritts dienen.
Mit sechs breit
angelegten Stufen werden die klassischen Lernbereiche Grund-, Mittel- und
Oberstufe abgedeckt. Ausgehend von der bereits seit 1975 vom Europarat durch
Lernzielbeschreibungen definierten Stufe Threshold (B1) wurden die Stufen
Breakthrough (A1), Waystage (A2) darunter und die Stufen Vantage (B2),
Effective Operational Proficiency (C1), Mastery (C2) darüber definiert.
Entsprechend dem handlungsorientierten Ansatz wird das sprachliche Können auf
den verschiedenen Niveaus als Handlungskompetenz durch sogenannte
Kann-Beschreibungen (can-do-statements) in wenigen Sätzen umrissen.
Beispiel für die
globale Kann-Beschreibung A1 (elementare Sprachverwendung)
Kann vertraute, alltägliche
Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die
Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und
anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z.B. wo sie wohnen, was für
Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art
Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die
Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und
bereit sind zu helfen. (GER 2001: 35)
Des Weiteren enthält
der Referenzrahmen Deskriptoren zu den einzelnen Sprachaktivitäten (z.B.
Mündliche Produktion allgemein) und macht Vorschläge zu Subskalen, wie
Beschreibungen unterhalb der allgemeinen Skala aussehen können, z.B. die
Subskala A2: Vor Publikum sprechen: „Kann eine eingeübte, kurze, einfache
Präsentation zu einem vertrauten Thema vortragen. Kann unkomplizierte
Nachfragen beantworten, falls die Möglichkeit besteht, um Wiederholung oder um
Hilfe beim Formulieren zu bitten.“ (GER 2001: 66)
Für Lernende, Lehrende
und Bildungseinrichtungen werden vielfältige Hinweise für das Sprachenlernen,
die Unterrichts- und Curriculumplanung und zu den verschiedenen Möglichkeiten
der Leistungsmessung, vor allem auch der gesteuerten Selbstevaluation mit dem
Ziel, das autonome Lernen zu fördern, gegeben.
Damit skizziert der
Referenzrahmen ein methodisch-didaktisches Konzept, das die Lernenden, ihre
Bedürfnisse und die zielgerichtete Entwicklung ihrer Sprach(en)kompetenz in den
Mittelpunkt stellt, und gibt objektive Kriterien für die Beschreibung von
Sprachkompetenzen vor, die eine gemeinsame Basis für die Vergleichbarkeit von
Zielen, Inhalten und Niveaus in den verschiedenen europäischen Sprachen und
(Weiter‑) Bildungseinrichtungen schaffen.
Das Europäische Sprachenportfolio
Das ebenfalls auf
Initiative des Europarates entwickelte Sprachenportfolio[3] orientiert sich am Referenzrahmen und ist ein Instrument,
mit dessen Hilfe wesentliche Prinzipien des Referenzrahmens wie Mobilität
und Transparenz, Erweiterte Leistungsbeurteilung, Autonomes Lernen, Lebenslanges
Sprachenlernen und Förderung der Mehrsprachigkeit in die Praxis umgesetzt
werden können.
Das
Sprachenportfolio hat eine Dokumentationsfunktion und eine
pädagogisch-didaktische Funktion, d.h. es kann als Lernbegleiter z.B. für die
selbstständige Planung und Evaluation des Lernens sowie für die lernziel- und
teilnehmerorientierte Kursplanung dienen. Damit richtet es sich an verschiedene
Adressaten wie Lernende, Unterrichtende, Bildungsinstitutionen, Arbeitgeber.
Das Portfolio
besteht aus drei Teilen.
Im Sprachenpass werden
Sprachunterricht, sprachliche und interkulturelle Erfahrungen, Prüfungen und
Zertifikate ausgewiesen. Zusätzlich enthält er eine Skala für die
Selbstevaluation der verschiedenen Fertigkeiten. Die Einträge werden in Bezug
auf die Referenzniveaus vorgenommen und erlauben damit Kurse und Abschlüsse von
unterschiedlichen Spracheinrichtungen und Kenntnisse in verschiedenen Sprachen
zu vergleichen bzw. äquivalent zu setzen.
Im Teil Sprachbiographie
können die persönliche Lernbiographie und interkulturelle Erfahrungen
beschrieben werden. Hier können auch Sprachkenntnisse und Erfahrungen
dokumentiert werden, die nicht innerhalb eines institutionellen Rahmens
erworben wurden. Es gibt Checklisten zu den verschiedenen sprachlichen
Fertigkeitsbereichen (mit Bezug auf die Referenzniveaus), die zum einen als
Planungsinstrument für die Formulierung der persönlichen Lernziele dienen, zum
anderen die bereits erworbenen Kompetenzen selbst evaluieren und zu den
Lernzielen in Bezug setzen lassen.
Im Teil Dossier
können eigene Produktionen (z. B. schriftliche Arbeiten, Videos,
Projektergebnisse) gesammelt werden, die den aktuellen Sprachstand in
verschiedenen Sprachen spiegeln, und erworbene Beurteilungen, Zertifikate und
Diplome angehängt werden. Für die Verwendung der verschiedenen Teile liegen
Anleitungen und Muster bei.
Sowohl die
Sprachbiographie als auch das Dossier zielen auf die Förderung des bewussten
Umgangs mit eigenen Zielen und Bedürfnissen, der Planung des eigenen Lernweges
und der Einschätzung der eigenen Leistungen ab und können damit die Motivation
zum Sprachenlernen verstärken.
Das Portfolio ist
Eigentum der Lernenden.
Profile Deutsch
Profile Deutsch (Glaboniat et al. 2002)[4] ist die erste konkrete Umsetzung des Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmens für eine Einzelsprache. Das System der Kompetenzbeschreibungen
im Referenzrahmen und im Sprachenportfolio wird für die Niveaus A 1 bis B
2 durch detaillierte Kann-Beschreibungen und Beispiele erweitert und konkretisiert.
Es enthält zudem den Referenzniveaus zugeordnet:
·
Sprachliche Mittel (Sprachhandlungen, kulturspezifische Aspekte,
thematischen Wortschatz, allgemeine Begriffe),
·
Grammatik (funktionale und systematische Darstellung),
·
Texte (als Beispiele für Textsorten),
·
Strategien (kommunikative, Lern- und Prüfungsstrategien).
Profile Deutsch ist als flexibles, offenes Arbeitsinstrument
konzipiert, mit dessen Hilfe Lernziele und sprachliche Mittel zusammengestellt
und die Inhalte zielgruppenorientiert adaptiert oder ergänzt werden können. Die
Inhalte und Listen sind nicht als Normvorgaben, sondern als Richtlinien und
Anregungen gedacht.
Deutsch wird als
plurizentrische Sprache verstanden, was sich vor allem
im Wortschatzbereich durch unterschiedliche Einträge niederschlägt, die
Standardvarietäten der verschiedenen deutschsprachigen Länder wiedergeben.
Profile Deutsch eignet sich als Arbeitsinstrument vor allem für
die Curriculumentwicklung, die Konzeption von Kursen, die Lehrbuch- und
Materialienentwicklung, die Testentwicklung und gibt Anregungen für die
Unterrichtspraxis.
Teil 2: Die Umsetzung des Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmens in den Sprachkursen des Goethe-Instituts
Bedeutung des Referenzrahmens
Die Sprachkursteilnehmer/innen
der GID kommen zu einem hohen Prozentsatz aus den europäischen Nachbarländern,
und die sprachenpolitische Bedeutung des Gemeinsamen Referenzrahmens liegt
daher auf der Hand. Vorgesehen ist, in den kommenden zwei Jahren das gesamte
Sprachkursangebot auf die europäischen Referenzniveaus hin abzustimmen und das
Curriculum inhaltlich mit den Kann-Beschreibungen und den
methodisch-didaktischen Prinzipien des Referenzrahmens zu verzahnen. Die
Äquivalenz zwischen dem Kurssystem der GID und den Referenzniveaus ist soweit
als möglich hergestellt. Informations- und Fortbildungsveranstaltungen zu den
Themen Referenzrahmen, Sprachenportfolio und Profile Deutsch sind seit 2001 für
die pädagogischen Leiter/innen und Lehrer/innen ins Programm aufgenommen und
werden in den nächsten Jahren weiterhin Schwerpunkt sein. Es ist geplant, nach
erfolgreichem Probelauf das europäische Sprachenportfolio (ESP) als
zusätzliches Instrument zur Leistungsbewertung und ‑dokumentation an den
GID einzuführen.
Der Referenzrahmen
und vor allem seine breite Akzeptanz bei den verschiedenen Bildungs- und
Fortbildungseinrichtungen stellt, gesamteuropäisch
gesehen, für vergleichbare Kenntnisse und Standards einen großen Schritt nach
vorne dar. Dieser Rahmen ist nun von den einzelnen Institutionen zu füllen oder
im Bild gesprochen: alle die sich unter das gemeinsame Dach begeben, müssen
sich in diesem Haus erst einmal einrichten. Für die GID ist dieser „Umzug“
sowohl mit positiven Erwartungen, als auch mit ein paar Schwierigkeiten verbunden,
was vermutlich immer der Fall sein wird, wenn ein komplexes System auf eine
neue Systematik trifft.
Referenzniveaus und Kurssystem der GID
Das seit
Jahrzehnten bestehende Kurssystem und die weltweit bekannten Kursbezeichnungen
des GI, dessen Niveau- und Kursstufen sich von den Anforderungen der Prüfungen
für die Globalniveaus Grundstufe, Mittelstufe und Oberstufe ableiten, war
bislang „die Referenz“ für Deutsch als Fremdsprache. Curricula und Kurse der
GID sind entsprechend aufgebaut und organisiert, die Lehrkräfte diesbezüglich
aus- und fortgebildet. Die Übernahme der europäischen Referenzniveaus bedeutet
nun zum einen, diese prominente Rolle als „Referenz für DaF“ zumindest ein
Stück weit aufzugeben, was sich auch nach innen auswirkt, indem alte Gewissheiten
über Niveaustufen, Kursinhalte und Lernziele nicht mehr der allein gültige
Maßstab bleiben. Zum anderen müssen das bestehende Kurssystem und die
Kursinhalte so mit dem Neuen verknüpft werden, dass das Ergebnis sowohl den
bisher gültigen wie auch den neu hinzugekommenen qualitativen Ansprüchen
genügt.
Dies ist einfach und
schwierig zugleich. Das methodisch-didaktische Know-how und langjährige Erfahrung
mit einem curricular fundierten Kurssystem sind vorhanden, d.h. die Umsetzung
der relativ abstrakten Richtlinien des Referenzrahmens und das Herunterbrechen
der Kann-Beschreibungen in curriculare Vorgaben – also was muss in welcher
Progression gelernt werden, um das zu können, was da beschrieben wird – stellen
weniger ein fachliches als ein praktisches Problem dar. Während sich die Goethe-Stufen
in der Regel mit Kurseinheiten an den GID decken und man ausreichend Erfahrung
damit hat, wie viel Zeit Lernende im Durchschnitt zur Erreichung eines bestimmten
Ziels im bekannten System brauchen, besteht noch Unklarheit darüber, in wie
vielen Unterrichtsstunden ein bestimmtes Referenzniveau erreichbar sein wird.
Die gegenüber den jetzigen Kursstufen z.T. breiteren Referenzniveaus erfordern
gegebenenfalls eine neue – noch nicht ganz offensichtliche – organisatorische
und curriculare Einteilung. Der Referenzrahmen sieht zwar ausdrücklich die
Möglichkeit vor, einem einzelnen Individuum ein bestimmtes Niveau zu bescheinigen,
so dass man auch umgekehrt vorgehen könnte und sagen, Person X hat z.B. Niveau
A2 erreicht, auch wenn der Kurs noch zwei Wochen länger dauert. Doch ist es
für die GID eine wichtige Frage der Transparenz, gegenüber den Kunden – auch
im außereuropäischen Ausland –, weiterhin einen möglichst klaren systematischen
Bezug zwischen gebuchten Kursen und Erreichbarkeit eines bestimmten Zieles
herzustellen. Möglicherweise ist der Unterschied zum jetzigen System auch
nur geringfügig, da die Prüfungen des GI über die ALTE[5] den europäischen Referenzniveaus klar zugeordnet
wurden (wobei zur Zeit noch nicht alle Niveaus durch eine allgemeinsprachliche
Prüfung abgedeckt sind), die Prüfungsanforderungen schon seit langem durch
Kann-Beschreibungen definiert sind und man dadurch auf ein weiteres bekanntes
Bezugssystem zurückgreifen kann. Manche zur Zeit
noch offenen Fragen werden sich wohl erst durch die Praxis beantworten lassen.
Man wird an den GID u.a. durch die neuen Einstufungstests Erfahrungen sammeln
und nicht zuletzt unabhängig von Beschreibungen und Definitionen auch ein
„Gefühl“ dafür entwickeln müssen, was denn nun z.B. A2 genau umfasst. Letzteres
ist vor allem für die Unterrichtenden wichtig, damit die Referenzniveaus nicht
nur neue Bezeichnungen sind, sondern zu einem wirklichen Bezugsrahmen werden
können.
Methodisch-didaktische
Prinzipien des Referenzrahmens
Der Unterricht an
den GID basiert auf Lehrplänen,[6] die sowohl Lernziele und Inhalte für alle Stufen
zusammenfassen als auch methodisch-didaktische Richtlinien für ein breites
Spektrum des Sprachenlernens geben, so sind z.B. wichtige Prinzipien wie Lernzielanalyse,
Lernerorientierung, Selbstevaluation, Lernstrategien und autonomes Lernen,
Interkulturelles Lernen, Projektunterricht, Schwerpunkt auf Fertigkeiten u.a.m.
enthalten. Diese Prinzipien finden sich zum großen Teil auch im Referenzrahmen
wieder und erfahren so eine Bestätigung und Verstärkung. Ein neuer Aspekt
hingegen ist der Schwerpunkt, den der Referenzrahmen mit den Kompetenzbeschreibungen
auf die Sprachanwendung legt. Zwar sind auch in den Lehrplänen der GID die
Fertigkeiten in Verbindung mit mündlichen und schriftlichen Textsorten in
den Vordergrund gestellt, doch ist der sehr pragmatische Ansatz der can-do-statements
und die weitergehende Differenzierung der einzelnen Fertigkeiten sicherlich
gut geeignet, Unterrichtsvorbereitung, Auswahl von Unterrichtsinhalten und
Bewertung des Lernerfolgs noch anwendungsbezogener auszurichten. Vor allem
für weniger erfahrene Lehrkräfte können die Kann-Beschreibungen eine Hilfe
für lernzielgerichtete Planung und Durchführung des Unterrichts sein. Da der
Referenzrahmen, wie der Name schon sagt, einen allgemeinen Rahmen für das
Sprachenlernen, -lehren und -beurteilen vorgibt, stellt er keinen Ersatz für
einen Lehrplan oder ein Curriculum dar. Letzteres ist von jeder Institution,
die Sprachen unterrichtet, zu leisten. Für die Sprachkurse der GID bedeutet
dies, dass die den bisherigen Stufen zugeordneten Lernziele und -inhalte zu
den Kann-Beschreibungen der Referenzniveaus in Beziehung gesetzt und auf der
Basis der Lehrpläne curriculare Einheiten entsprechend definiert werden müssen.
Einzelfertigkeiten und individuelles Kompetenzniveau
Ein weiterer Fokus
des Referenzrahmens liegt auf der Entwicklung und dokumentierten Bewertung
einzelner Fertigkeiten in mehreren Sprachen. Dies ist eine ganz neue
Betrachtungsweise und steht im Widerspruch zu der bislang gültigen Vorstellung,
dass eine Sprache als Ganzes systematisch erworben und beherrscht werden müsse,
um wirklich von Sprachkenntnissen sprechen zu können. Diese im Referenzrahmen
eröffnete Option fördert ganz gewiss die Motivation zum Sprachenlernen und
trägt der Notwendigkeit Rechnung, dass für immer mehr Menschen in Europa mehr
oder weniger (auch dokumentierte) Sprachkompetenz in verschiedenen Sprachen für
ihr privates oder berufliches Umfeld wichtig sein wird. Die Möglichkeit, in
einer als schwierig geltenden Sprache wie Deutsch zumindest für eine
Teilkompetenz ein gutes Sprachniveau zu erreichen und sich dies auch
dokumentieren lassen zu können, hat zudem Charme und kann eine gute Werbung für
die deutsche Sprache sein. Es versteht sich dabei von selbst, dass nicht nur im
Deutschen der Ausbau einer Einzelkompetenz immer auch ein adäquates Maß an
sprachsystematischem Wissen und die Mitentwicklung anderer Fertigkeiten einschließt
und die Zielsetzung damit etwas relativiert wird.
Inwieweit kann
diese Option für die GID übernommen werden? Die Sprachkurse der GID zeichnen
sich bislang dadurch aus, dass Deutsch systematisch und – nach der
Sprachenerwerbstheorie – in einer bestimmten Progression vermittelt wird, und
dies integrativ in allen Fertigkeitsbereichen. Der bisher weitaus größte Teil
der Kursteilnehmer/innen in den Intensivkursen lernt Deutsch über einen
längeren Zeitraum mit dem Ziel, für eine spätere Berufsausbildung bzw. wegen
eines Studiums in Deutschland eine Prüfung abzulegen oder ihr Deutsch zumindest
bis zu einem bestimmten Niveau in allen Kompetenzbereichen ausbauen zu müssen.
Dabei steht die Entwicklung bestimmter Fertigkeiten – je nach Ziel – auch
bisher schon im Vordergrund. Da bekanntlich in Prüfungen immer ein bestimmtes
Mindestniveau in allen Fertigkeitsbereichen erreicht werden muss, ist für diese
Gruppen, vor allem auch für Kursteilnehmer/innen aus nicht europäischen
Ländern, die vorrangige Entwicklung einer Teilkompetenz im Deutschen (noch)
kein interessantes Ziel per se. Es wird sich wohl erst längerfristig
herausstellen, inwieweit die Dokumentation unterschiedlicher
Fertigkeitskompetenzen, z.B. über die Selbstevaluation im Sprachenpass, für
diese Zielgruppen wirklich wichtig werden kann. Dies hängt nicht zuletzt auch
von der Akzeptanz ab, die Referenzniveaus und Sprachenportfolio bei
Arbeitgebern und Institutionen in und außerhalb Europas erreichen werden.
Neben den oben
beschriebenen Zielgruppen gibt es in den GID natürlich auch
Kursteilnehmer/innen, für die der Ausbau spezieller Kompetenzen für berufliche
Zwecke von großem Interesse ist und Qualifikationsnachweise durch Prüfungen
keine Rolle spielen (z.B. Firmenkunden). Im Unterricht mit diesen Gruppen wird sich eine stärker differenzierte Entwicklung der
Einzelfertigkeiten und deren Dokumentation entsprechend niederschlagen. Dafür
bieten die Kann-Beschreibungen, vor allem das Korpus in Profile Deutsch,
mit dessen Hilfe zielgruppenspezifische Curricula und Tests erstellt werden
können, und auch das Sprachenportfolio gute Möglichkeiten.
Objektiver und transparenter Kompetenznachweis
Die Referenzniveaus
und Kann-Beschreibungen schaffen eine gute Basis, Sprachkenntnisse und die
bislang von den einzelnen Institutionen ausgestellten, sehr unterschiedlichen
Nachweise besser zu vergleichen und zu objektivieren.
Ob Sprachprüfungen
in Europa zugunsten anderer Kenntnisnachweise, z.B. auch über Einzelkompetenzen,
langfristig an Bedeutung verlieren werden, ist schwer einschätzbar. Sicherlich
ist es vor allem für Arbeitgeber wünschenswert, genau über diejenigen Fertigkeiten
eine qualifizierte Auskunft zu erhalten, die für die berufliche Tätigkeit
relevant sein werden, wobei die allgemeine Sprachkompetenz zweitrangig sein
kann.[7]
Ein kritischer
Punkt bei der Bescheinigung von Kompetenzniveaus (z.B. bei einem Eintrag im
Sprachenpass), zumal von Einzelkompetenzen, bleibt der subjektive Faktor und
damit die Frage der Qualität, sofern die Beurteilung nicht durch valide Feststellungstests
bzw. Prüfungen abgesichert ist, sondern auf Kursleistungsbewertungen durch
Lehrkräfte oder Selbsteinschätzung der Lernenden beruht. In den GID wurde
bislang lediglich die Teilnahme an einem bestimmten Kurs auf Niveau X mit
bestimmten Lernzielen bescheinigt und kein „Kursabschlusszeugnis“ o.ä.
ausgestellt, wenn die Kenntnisse nicht durch eine Prüfung oder einen anderen
Feststellungstest abgesichert waren. Demgegenüber bescheinigen die
Kann-Beschreibungen ja ausdrücklich das „Können“, das ohne eine weitere
Relativierung, z. B. durch Noten, explizit auf eine konkrete Person bezogen
wird. Dieser „Mehrwert“ hat etwas sehr Bestechendes, da es bislang wie gesagt
nur durch Prüfungen möglich ist, sich das tatsächliche Können dokumentieren zu
lassen. Gleichzeitig liegt aber hier der kritische Punkt für die tatsächliche
Vergleichbarkeit und dadurch bedingte Akzeptanz bescheinigter Referenzniveaus.
Erprobung des Sprachenportfolios an den GID
Das Europäische Sprachenportfolio
(ESP) stellt ein wichtiges Instrument dar, um die im Referenzrahmen postulierten
Prinzipien in die Praxis umzusetzen. Das ESP wurde in einem Pilotprojekt zwei
Jahre lang in verschiedenen Ländern, vor allem in Schulen – mit positiver
Resonanz – erprobt. Der emanzipatorische didaktische Ansatz des Referenzrahmens
wird sicherlich gerade den Sprachunterricht mit Kindern und Jugendlichen langfristig
positiv beeinflussen können. Das ESP eröffnet mit den Teilen Lernbiographie
und Dossier speziell für diese Altersgruppen Möglichkeiten für vielfältige
motivierende Lernaktivitäten, auch zur Förderung des autonomen Lernens.[8]
Für Erwachsene
scheint neben dem Sprachenpass in seiner Dokumentationsfunktion in erster Linie
der Teil Selbstevaluation interessant. Mit dem ESP in der EAQUALS/ALTE-Version findet
in den nächsten Monaten an zwei Inlandsinstituten und sechs Instituten in
Europa ein Probelauf statt. Ziel der Erprobung speziell in den GID ist es zwei
Dinge festzustellen.
Zum einen, ob der
schon in den Lehrplänen verankerte Anspruch, die Lernenden zu mehr Autonomie
und Bewusstheit beim Lernen (Festlegung eigener Lernziele, Evaluierung) zu
motivieren durch die im ESP ausdrücklich vorgesehene Selbstevaluation gezielter
verwirklicht werden kann, zum anderen wie interessant der Sprachenpass als Dokumentation
der Kenntnisse für nichteuropäische Kursteilnehmer/innen ist.
Im
Deutschunterricht im Inland haben wir es – im Gegensatz zu den Instituten im
Ausland – mit multinationalen Gruppen zu tun, was bedeutet, dass jede Reflexion
über das Lernen in der Zielsprache (und nicht wie bei homogenen Sprachgruppen
in der Muttersprache) stattfinden muss. Auch ein in mehreren europäischen
Sprachen vorliegendes Portfolio deckt nicht alle mutter- oder fremdsprachlichen Kenntnisse in einer Gruppe ab. D.h. dass
die angestrebten Ziele der Selbstevaluation und Reflexion des eigenen Lernens
vermutlich nur bei fortgeschritteneren Deutschkenntnissen oder von einzelnen
Personen erreicht werden können.
Darüber hinaus muss
man feststellen, inwieweit dieser didaktische Ansatz von den Lernenden
akzeptiert wird. Dies ist insofern eine spannende Frage, als viele
Kursteilnehmer/innen der GID auch aus nicht-europäischen Ländern kommen und die
Konfrontation mit kommunikativen Unterrichtsmethoden und einer – gegenüber der
eigenen Lerntradition und Erfahrung – völlig anderen Konzeption von Lernen und
Lehren häufig zunächst als Kulturschock erfahren und als „uneffektiv“ abgewehrt
wird. Leider stößt daher die Umsetzung mancher eingangs genannter didaktischer
Prinzipien der Lehrpläne im tatsächlichen Unterrichtsgeschehen häufig an
Grenzen, die jedoch akzeptiert werden müssen, nimmt man den eigenen Anspruch
ernst. Gerechterweise muss an dieser Stelle aber angemerkt werden, dass auch
europäische Kursteilnehmer/innen – vermutlich aufgrund entsprechender
Schulerfahrungen – keineswegs immer die in der Literatur des letzten Jahrzehnts
so viel zitierten autonomen Lerner sind. Inwieweit das ESP seine „pädagogische“
Funktion im Unterricht mit Erwachsenen bzw. dieser Zielgruppenzusammensetzung
unter Beweis stellen kann, ist daher abzuwarten, aber es lohnt sicher den
Versuch. Gerade in Gruppen mit sehr traditionell geprägten Lernerfahrungen und
insbesondere bei Erwachsenen ist jedoch Sensibilität und Geduld notwendig, um
die Lernenden zu motivieren, sich auf ungewohnte – „bessere“ – Lernverfahren
einzulassen. Ein Aspekt, der in Anbetracht der aus der ganzen Welt kommenden
Kursteilnehmer/innen für die GID von besonderer Bedeutung ist, sei an dieser
Stelle nochmals hervorgehoben: Die GID gehören zu Europa, sind aber
gleichzeitig auch Orte der interkulturellen Begegnung und haben den Anspruch,
die Verständigung zwischen den vielen Kulturen unter ihrem Dach zu fördern. Der
Sprachunterricht muss daher mehr als nur methodisch-didaktische
Professionalitätskriterien erfüllen und es sollte bei anderen Nationen nicht
der Eindruck des Eurozentrismus entstehen. Aus diesem Grunde werden auch das
Interesse und die Akzeptanz der nichteuropäischen Kursteilnehmer/innen
ausschlaggebend sein zu entscheiden, ob das ESP in den Goethe-Instituten in
Deutschland grundsätzlich eingeführt wird und in welcher Funktion, z.B. auch
als Arbeitsmittel im Unterricht, oder ob es eine Option als Arbeitsmittel und
als Dokumentation von Sprachkenntnissen vor allem für die europäischen Kunden sein
soll.
Ideal wäre es, wenn
das Sprachenportfolio sich beim Probelauf als geeignetes Instrument sowohl zur
Förderung des autonomen Lernens als auch zur Steuerung der Unterrichtsplanung
herausstellen und als solches sowohl von Lernenden wie Lehrenden positiv
angenommen würde. Mit der zusätzlichen Möglichkeit, im Sprachenpass die
Selbstevaluation einzelner Kompetenzbereiche zu dokumentieren, ist das
Portfolio ein Qualitätsinstrument, das die bisher in den GID praktizierten
Verfahren der Leistungsmessung und -nachweise wie Einstufung- und
Lernfortschrittstests, qualifizierte Teilnahmebescheinigungen und Prüfungen
bestens ergänzen würde.
Bibliographie
Gemeinsamer Europäischer
Referenzrahmen für Sprachen (GER) (2001) hrsg. vom Goethe-Institut Inter Nationes, der
Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik
Deutschland, der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren
und dem österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und
Kultur, München: Langenscheidt.
Glaboniat, Manuela; Müller, Martin; Rusch, Paul;
Schmitz, Helen; Wertenschlag, Lukas (2002) Profile Deutsch, München:
Langenscheidt (CD-ROM und Begleitband).
Little, David; Perclová, Radka
(2001) The European Language Portfolio: a guide for teachers and teacher
trainers, Straßburg: Europarat.
Quetz, Jürgen (2002) Der Gemeinsame europäische
Referenzrahmen. In: Materialien Deutsch als Fremdsprache 65,
Europäisches Jahr der Sprachen, Hrsg. v. Armin Wolff und Hartmut Lange,
Regensburg, 369-383.
Schmitz, Helen; Simon-Pelanda, Hans (2002)
„Profile Deutsch“ und der „Gemeinsame europäische Referenzrahmen“ in: Materialien
Deutsch als Fremdsprache Nr. 65, Europäisches Jahr der Sprachen, Hrsg.
v. Armin Wolff und Hartmut Lange, Regensburg, 384-397.
Schneider, Günther; North, Brian (2000) Fremdsprachen
können – was heißt das? Skalen zur Beschreibung, Beurteilung und
Selbsteinschätzung der fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit.
Chur/Zürich: Rüegger.
Biographische Information
Hildegard Kirchner
ist seit Anfang 2002 Leiterin des Bereichs Sprachkurse Deutschland und
Qualitätsmanagement in der Zentrale des Goethe-Instituts Inter Nationes in
München. Von 1995 bis 2001 war sie Fachreferentin und stellvertretende Leiterin
des Goethe-Instituts Freiburg, ab 1996
Sprecherin der FachreferentInnen der Goethe-Institute in Deutschland. In dieser
Funktion war sie u.a. verantwortlich für fachliche Fragen und
Qualitätssicherung bezüglich des Angebots an den Goethe-Instituten in
Deutschland, für zentrale Fortbildungsmaßnahmen und deren Koordination mit
lokalen Fortbildungsmaßnahmen, für die Fortschreibung und Umsetzung von
Standards, Evaluations- und Zertifizierungsverfahren und für die Zusammenarbeit
mit der Zentrale (Prüfungen, Forschung und Entwicklung, Sprache Ausland,
Seminare, Interne Fortbildung).
Zur
Zeit beschäftigt sie sich
insbesondere mit der Planung und Umsetzung der Maßnahmen, die die Einführung
der Referenzniveaus für die Goethe Institute in Deutschland mit sich bringt.
[1] Abkürzungen:
GI = Goethe-Institut Inter Nationes, GID = Goethe-Institute in Deutschland
[2] Deutsche
Übersetzung der endgültigen englischen Fassung des Common European Framework
of Reference, Straßburg: Europarat, 2000 (Übersetzung von Prof. Jürgen
Quetz, Frankfurt, Skalen übersetzt von Prof. Günther Schneider, Fribourg).
Ausführlichere Informationen enthalten www.goethe.de/referenzrahmen und Quetz (2002).
[3] Pilotprojekt
mit verschiedenen Versionen des ESP in europäischen Ländern 1999-2000. Alle
Versionen haben bestimmte Merkmale und Elemente gemeinsam und orientieren
sich an der Schweizer Version des Sprachenportfolios. Die Deskriptoren wurden
für den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen im Rahmen eines
Projektes des „Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen
Forschung“ erstellt (Schneider & North 2000).
[4] Für weitere
Informationen s. Schmitz & Simon-Pelanda (2002).
[5] The Association of Language Testers in Europe.
[6] Lehrpläne
für die Goethe-Institute in Deutschland, München: Goethe-Institut, 1996.
[7] Vgl. dazu
den für solche Zwecke entwickelten Test BULATS (Business Language Testing
Service), sowie die vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) zum Jahr
der Sprachen 2001 veröffentlichte Broschüre Arbeitsplatz Europa: Sprachkompetenz
wird messbar mit berufssprachlichen Kann-Beschreibungen (weitere Informationen
auf der Webseite www.dihk.de/inhalt/shop/ds_artliste.php3?Rub=6).
[8] Vgl. die
Beispiele in Little & Perclová (2001).