Aufmerksamkeit statt Automatisierung

Überlegungen zur Rolle des Wissens im Grammatikunterricht

 

Paul R. Portmann-Tselikas, Graz

 

Der Beitrag geht davon aus, dass das Denken über den Grammatikunterricht immer noch stark von Vorstellungen geprägt ist, die ihre Wurzeln im Audiolingualismus haben, sichtbar etwa an der fast ausschließlichen Produktionsorientierung der didaktischen Verfahren und der Orientierung am Begriff der Automatisierung. Entsprechend schwierig ist es, Einsichten aus der Spracherwerbsforschung und der Sprachlerntheorie für die Didaktik nutzbar zu machen, denn diese heben eher die Wichtigkeit der Rezeption und der Bedeutung syntaktischer Formen und Strukturen für das Lernen hervor. Auch zeigen sie, dass Automatisierung nicht einzelne Regularitäten betrifft, sondern ein komplexer, systemischer Prozess ist. Eine Erneuerung des Grammatikunterrichts, die diesen Erkenntnissen gerecht wird, kann nur zustande kommen, wenn diese fundamentalen Differenzen deutlich werden und die Erwartung an das, was Grammatikunterricht leisten soll, verändert werden. Dann kann auch das didaktische Instrumentarium der Grammatikvermittlung sinnvoll und zielgerichtet erweitert werden.

 

Mitten in einer Deutschstunde an der ETH in Zürich kam eine amerikanische Studentin – während der stillen Arbeit nach einer längeren Sequenz über Dativ und Akkusativ – den Tränen nahe zu mir und gestand, dass sie mit dem besten Willen nicht wisse, was der Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ sei. Ich hätte das schön erklärt, aber das sei unverständlich und ergebe für sie keinen Sinn. Der Moment schien mir nicht günstig für eine Wiederholung von Erklärungen, die ich bereits gegeben hatte, so versicherte ich ihr nur, der Unterschied könne über Leben und Tod entscheiden und bat sie, zusammen mit ihrer Nachbarin, die offensichtlich ebenfalls nicht verstanden hatte, zwei Sätze zu vergleichen und über den Unterschied in der Bedeutung zu reden: Ich gebe ihm den Tiger und Ich gebe ihn dem Tiger. Beide waren für eine Weile äußerst angeregt mit dieser Aufgabe beschäftigt und schienen nachher zufrieden. Die Studentin sprach mich auf diese Sache nicht mehr an.

In einer anderen, etwas fortgeschritteneren Gruppe behandelte ich die zusammengesetzten Nomina. Ich beschrieb die Regeln für die Zuordnung des Genus, machte Übungen, beschäftigte mich mit den Fugenmorphemen etc. Nach einigen einschlägigen Übungen gab ich zum Abschluss, sozusagen als heitere Draufgabe, vier Wortpaare vor und bat die Studierenden, sich gegenseitig den Bedeutungsunterschied zu erklären: Seitenstraße – Straßenseite; Autounfall – Unfallauto etc. Daraufhin passierte eine der denkwürdigsten grammatischen Viertelstunden meiner Lektorenzeit. Die Studierenden schienen kaum müde zu werden, eindringlich und mit höchstem Engagement miteinander über diese wenigen Wörter zu diskutieren.

Mehr oder weniger zufällig ergaben sich so Konstellationen, in denen Fragen der Grammatik anders, als ich mir gewohnt war, zum Thema wurden – und beide Male traf ich auf die Reaktion, die sich jede Lehrkraft wünscht (und häufig nicht zu sehen bekommt): Bereitschaft, sich mit Grammatik zu beschäftigen, und interessierte, quicklebendige Auseinandersetzung mit Fragen der Sprache.

Was war in diesen Situationen anders als sonst? Warum konnte Grammatisches hier fast lustvoll (wenn ich dies mit der eher gedämpften Stimmung sonst verglich) angegangen werden? Und deutet diese zunächst einfach erfreuliche Lebendigkeit vielleicht auf etwas Wichtigeres hin – darauf nämlich, dass hier etwas zu entdecken ist, das in Bezug auf Grammatikunterricht generell von Belang ist?

Ich gehe davon aus, dass dies der Fall ist und möchte im Folgenden zuerst, ausgehend von einigen allgemeinen Überlegungen zu Sprache und Spracherwerb, auf die entscheidenden Merkmale der eben skizzierten Sequenzen eingehen. Daraus ergibt sich ein erstes Bild von einem veränderten Grammatikunterricht. Die Unterschiede zur traditionellen Konzeption der Grammatikvermittlung sind das Thema des zweiten Abschnitts. Im dritten Abschnitt wird die alternative Vorstellung detaillierter ausgeführt. Im vierten möchte ich – eher schlagworthaft – auf unterschiedliche Möglichkeiten aufmerksam machen, wie Grammatikübungen ‚anders‘ angelegt werden können.

 

1  Zwischen Form und Bedeutung

1.1 Was ist Sprache?

Eine alte linguistische Charakterisierung von Sprache lautet: Sprache koordiniert die Welt der Laute mit der Welt der Bedeutungen. Dies ist ein Gemeinplatz in Bezug auf Wörter – diese verbinden Wortbilder mit Konzepten. Es gilt aber auch für die Grammatik. Sie erlaubt es, durch die Abfolge von Wörtern strukturelle Zusammenhänge zwischen Konzepten auszudrücken. Wie Grammatisches hier zur Bedeutung beiträgt, ist leicht deutlich zu machen: Hund beißt Briefträger ist nicht dasselbe wie Briefträger beißt Hund. Das Letztere ist sicher die interessantere Meldung: Das ewige Opfer hat sich in einen Täter verwandelt. Die Sätze tragen andere Bedeutungen, nicht weil sie andere Wörter enthalten, sondern weil deren Anordung eine andere ist und andere Beziehungen andeutet.

In vielen Sprachen geht mit der grammatischen Gliederung eine obligatorische Veränderung von Wortformen einher. So verlangt ‚beißen‘, dass die vom Beißen betroffene Größe nicht als Subjekt, sondern als Akkusativobjekt erscheint. Dieser Akkusativ muss, wo immer dies möglich ist, markiert werden: Briefträger beißt unschuldigen Hund. Oft erfolgt die Festlegung von Wortformen nicht auf Grund syntaktischer Zwänge, sondern auf Grund dessen, was Sprechende inhaltlich ausdrücken wollen. So sind wir im Deutschen nicht frei, z.B. Tempusformen zu setzen oder nicht zu setzen, wir sind aber frei, das Tempus zu wählen, das die Aussage gemäß unseren Intentionen zeitlich zu situieren erlaubt. Dann geh’ ich noch einen Film schauen und Dann bin ich noch einen Film schauen gegangen und Dann ging ich noch einen Film schauen besagen Unterschiedliches. Die beiden letzten Sätze etwa beziehen sich gleicherweise auf Vergangenes, legen aber unterschiedliche Sprecherhaltungen dem Ereignis gegenüber bzw. unterschiedliche Situationskontexte nahe (vgl. Radtke 1998).

Es ist leicht klar zu machen, dass Grammatisches Bedeutung hat. Schwierig ist es, diese Bedeutungen auf klare und eindeutige Weise zu explizieren: zum einen darum, weil die meisten grammatischen Strukturen bzw. morphologischen Formen mehrere Bedeutungen haben, zum anderen darum, weil die grammatischen Kernbedeutungen in jeder konkreten Äußerung überlagert werden von semantischen und pragmatischen Effekten und eine Abgrenzung hart erarbeitet werden muss. Dass wir Schwierigkeiten mit der Beschreibung grammatischer Bedeutungen haben, bedeutet jedoch nicht, dass sie unwichtig oder zweitrangig wären.

 

1.2 Sprachlernen ist Lernen von Form-Bedeutungs-Korrelationen

Schaut man so auf Sprache, kann man sagen: Die zentrale Aufgabe von Sprachlernenden ist, die Korrelation von Sprachformen und Bedeutungen zu lernen. In Bezug auf die Grammatik heißt dies, dass die Rolle der grammatischen Mittel für die Interpretation bzw. den Ausdruck von Bedeutungen erkannt und beherrscht werden muss.

Dass dieser Bedeutungsbezug für das Lernen zentral ist, wird in allen Untersuchungen zum Spracherwerb deutlich (vgl. dazu verschiedenen Beiträge in Doughty & Williams 1998, die daraus aus didaktische Schlussfolgerungen ziehen. Dazu weiter unten). Semantisch Auffälligeres wird fast stets rascher erkannt, verstanden und aktiv verwendet als semantisch Unauffälligeres. Dies kommt besonders deutlich im außerschulischen, d.h. ungesteuerten Spracherwerb zum Ausdruck:

·       Wörter fallen eher auf als grammatische Strukturen oder morphologische Markierungen. Beispiel: Adverbien und Adverbiale der Zeit werden rascher verwendet als Tempusformen.

·       Wo Grammatisches unmittelbar relevante Bedeutung trägt, wird es leicht aufgenommen – Singular und Plural beim Nomen werden rasch erkannt und signalisiert[1], Kasus dagegen wird erst später differenziert wahrgenommen, auch Genus (markiert wird zuerst und früh das natürliche Geschlecht von Personen).

·       Grammatisches mit vorab sprachinterner, formaler Relevanz ist schwer auf seine Bedeutung hin zu durchschauen. Dativ und Akkusativ zeigen nur in bestimmten Konstellationen (etwa im eingangs gegebenen Beispiel vom Tiger) deutlich sichtbar ihre unterschiedlichen Potenziale.

Man kann solche Beobachtungen vor dem Hintergrund der Lernersprachforschung der letzten drei Jahrzehnte (z.B. Klein 1984; Wode 1993; Ellis 1997, um nur drei zu nennen) so ausdeuten: Menschen haben eine natürliche Spracherwerbsfähigkeit. Diese zeigt sich im Erst- und im Zweitspracherwerb. Sie ist so beschaffen, dass Lernende im Kontakt mit der fremden Sprache fähig sind, in den an sie gerichteten Äußerungen Sprachelemente und ‑strukturen wahrzunehmen und auf ihre Bedeutung hin zu interpretieren. Voraussetzung dazu ist,

·       dass entweder der situative Kontext eindeutige Schlüsse auf die Bedeutung einzelner sprachlicher Elemente (oder ganzer ‚chunks‘) erlaubt,

·       oder dass genügend Elemente einer sprachlichen Äußerung bekannt sind und so Schlüsse auf die Bedeutung darin befindlicher noch unbekannter Elemente möglich werden.

In beiden Fällen steht an der Basis des Lernens das Spiel von Form und Bedeutung, und zwar, dies ist wichtig zu sehen, das Spiel von Form und Bedeutung in konkreten, einzelnen Äußerungen.

Der beobachtbare Gang der Sprachentwicklung vom Lexikalischen zum Grammatischen (allgemeiner: von Sprachmitteln, die unmittelbar die Mitteilungsinhalte betreffen, zu Sprachmitteln, die die syntaktisch durchgeführte Organisation der Mitteilung ermöglichen) zeigt, dass die Form-Bedeutungsrelationen nicht auf einmal erkannt werden können. Vielmehr re-konstruieren die Lernenden aufgrund des Inputs Zug um Zug das zugrundeliegende System der Zielsprache. Es bleibt ihnen gar nichts Anderes übrig: Was im Input zu sehen ist, sind sprachliche Formen im Kontext. Wir wissen, dass diese bestimmten Regularitäten gehorchen. Diese Regularitäten selbst sind aber nicht sichtbar, sondern müssen aufgrund ihrer Effekte in Äußerungen erschlossen werden. Und dies ist keine einfache Aufgabe.

In Bezug auf Singular und Plural ist dies relativ einfach: Im Englischen und Deutschen sind Pluralformen fast immer länger als Singularformen, das inhaltliche Merkmal ‚Plural‘ wird formal durch ein Mehr an Sprachmaterial angezeigt. Auch wenn etwa im Deutschen die korrekte Pluralform eines Nomens kaum vorhersehbar ist: Zumindest dieses Prinzip ist erkennbar und wird auch rasch gelernt. Eine Übergeneralisierung von -en oder -s erlaubt die kommunikativ erfolgreiche Signalisierung des Bedeutungsunterschieds. Das Lernen der korrekten Pluralendungen erfordert dann eine lange Lernzeit – nicht, weil dies besonders schwierig wäre, sondern weil die korrekte Form für sehr viele Nomina einzeln gelernt werden muss. Demgegenüber sind die Regularitäten der Verbstellung im Deutschen zwar durch eindeutige Prinzipien geregelt und quasi allgemein gültig. Sie sind aber aus dem im ersten Moment wirr scheinenden Input nur allmählich herauszulesen, dies führt zu langen, über verschiedene Stufen laufenden Prozessen der allmählichen Annährung an zielsprachkonforme Strukturen.

Es ist weitgehend unbestritten, dass der Spracherwerb stark durch ‚interne‘ Mechanismen bestimmt ist – dies drückt sich etwa in der Vorhersehbarkeit wichtiger Aspekte des Erwerbsverlaufs aus. Wie die dafür verantwortliche Sprachfähigkeit zu definieren ist, ist höchst umstritten (vgl. McLaughlin 1987 für eine Übersicht über die wichtigsten Theorien). Bei Adoleszenten und Erwachsenen bestimmt nicht nur das Zusammenspiel von zielsprachlichem Input und gegebener Sprachfähigkeit den Erwerb, sondern auch die bereits bestehenden sprachlichen Kompetenzen. Deren Einfluss zeigt sich sich am sichtbarsten in den vielfältigen Phänomenen des Transfers.

Der direkte kommunikative Sprachkontakt ist nicht der einzige Weg, auf dem Menschen zu Informationen über die zu lernende Sprache kommen. Der Grammatikunterricht im Rahmen schulischen Lernens ist der geradezu prototypische Versuch, solche Informationen auf andere Weise zugänglich zu machen. Zweierlei lässt sich aber aufgrund des eben Gesagten postulieren:

·       Erstens, dass der ‚natürliche‘ Weg der primäre ist, der allen Menschen zugänglich ist und sich im Laufe der Menschheitsgeschichte als höchst stabil erwiesen hat. Dies gilt sicherlich für den Erst- und frühen Zweitspracherwerb. Es ist bekannt, dass späteres Lernen dieser Art häufig nicht mehr zu vollkommener Sprachbeherrschung führt (wohl aber zumindest zur Kommunikationsfähigkeit in unterschiedlich weiten Bereichen).

·       Zweitens, dass dieser Weg auch im Unterricht wirksam ist. Davon zeugt unsere Überzeugung, dass das Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben wichtig sind und dass sie Lerneffekte haben, und zwar umso mehr, je intensiver die Lernenden darin involviert sind. Wir raten zu Auslandaufenthalten auch dann, wenn dabei keine Schulen besucht werden usw. Wenn wir mit diesen Vorstellungen richtig liegen, dann bedeutet dies: Die explizit vermittelten Kenntnisse sind nicht die einzige Quelle, die dem Lernen zugrunde liegen. Und Sprachpraxis, die auf Prozessen wie den eben beschriebenen beruht, ist für die Herausbildung einer funktionierenden Sprachkompetenz eine notwendige Voraussetzung.

 

1.3 Auf der Spur eines lerngerechten Zugangs

Die eingangs geschilderten Erfahrungen können nun auf der Grundlage dieser Überlegungen auf recht einfache Weise interpretiert werden. Es ist in diesen beiden Fällen gelungen – ohne dass dies beabsichtigt gewesen wäre – eine grammatische Erscheinung so zu präsentieren, dass anhand konkreter Beispiele ihre Bedeutung zum Objekt der Betrachtung und zum Anlass für Überlegungen und Erklärungsversuchen wurde. Es gelang, mit anderen Worten, im Unterricht den ‚natürlichen Zugang zur Sprache in Anspruch zu nehmen. Anders, als dies im Alltag normalerweise der Fall ist, wurden die Lernenden aber durch einen Kunstgriff auf eine ganz bestimmte Spur gebracht: Die Präsentation von ‚Minimalpaaren‘ erzwang die Beachtung einer ganz bestimmten grammatischen Form und die Aufgabe, darüber zu reden, erforderte die Explikation beobachtbarer Bedeutungseffekte.

Didaktisch potenziell relevant – wie ich selber erst mit der Zeit zu bemerken begann – sind an Beispielen wie den geschilderten neben dem ‚natürlichen Zugang‘ mit vorrangigem Bedeutungsbezug sicherlich die folgenden Elemente:

·       Rezeptionsorientierung: Anders als im Grammatikunterricht üblich werden keine Sätze unter Beizug der neuen Form erzeugt, sondern es werden vorliegende Sätze betrachtet und interpretiert.

·       Konkrete Aufgabe: Die Aufgabe lautet nicht, die Bedeutung des Dativs bzw. des Akkusativs herauszufinden. Ebenso wenig geht es um eine allgemeine Theorie der Bedeutung zusammengesetzter Nomina. Die Aufgaben sind simpel und konkret: Was ist der Unterschied in der Bedeutung von zwei kontrastierenden Paaren? Damit man dies erklären kann, muss der Beitrag der grammatischen Form für die Gesamtbedeutung erkannt werden. Erläutert werden muss aber nur der Unterschied in der Gesamtbedeutung vorliegender Sätze.

·       Kooperation: Die Lernenden sprechen miteinander über die vorgelegten Sätze, versuchen daraus klug zu werden und sich gegenseitig zu erklären, was sie verstehen. Sie formulieren also durchaus, nur anders als in produktionsorientierten Übungen: Sie formen nicht irgendwelche Strukturen, nur weil diese die neue Form beinhalten. Sondern sie sagen etwas, was sie in Bezug auf diese neue Form beobachten und mitteilen wollen. Grammatik wird hier verbunden nicht nur mit dem Verstehen von Sätzen, sondern auch mit aktueller Kommunikation, die dieses Verstehen zum Thema hat und seine Relevanz unterstreicht.

·       Implizite Grammatik: Grammatische Terminologie ist für die Lösung der Aufgabe nicht nötig. Es mag nützlich sein, die eine oder andere Form benennen zu können, aber dies steht nicht im Vordergrund.

·       Lenkung der Aufmerksamkeit: Dies ist der wohl wichtigste Punkt. Die Aufmerksamkeit der Lernenden wird auf eine Erscheinung gelenkt – und sie bleibt für eine gewisse Zeit darauf bezogen.

In dieser Arbeit machen Lernende Erfahrungen mit Sprache. Sie erkennen, welche Bedeutungseffekte bestimmte Formen haben, und sie entwickeln aufgrund einer Reihe von Beispielen eine gewisse Vertrautheit damit. Erfolgreich ist die Arbeit, wenn sie die entsprechenden Formen in anderen Kontexten wiedererkennen und leichter damit umgehen können als zuvor. Diese Vertrautheit ist Voraussetzung für die Produktion. Eine solche ist erst möglich, wenn Klarheit über Form-Bedeutungs-Relationen besteht. Sich-Äußern heißt ja: Etwas ausdrücken wollen und zu diesem Etwas (zur auszudrückenden Bedeutung) die passende sprachliche Form zu finden (zu einer ausgreifenden Analyse dessen, was dies für das Konzept der pädagogischen Grammatik bedeutet, s. Newby 2002).

 

2  Ein kritischer Blick auf den traditionellen Grammatikunterricht

2.1 Fundamente des herkömmlichen Grammatikunterrichts

Das eben Gesagte ist nicht nur eine Beschreibung dessen, was in einzelnen Unterrichtssequenzen zu beobachten ist. Als solche wird sie wohl kaum Widerspruch erregen. Der Anspruch, den ich damit verbinde, geht weiter: Ich sehe darin bereits wesentliche (wenn auch noch nicht alle) Elemente einer Konzeption für den Grammatikunterricht – und mit dieser Generalisierung begebe ich mich auf Konfrontationskurs mit dem herkömmlichen Bild. Dieses ist zwar keineswegs in allen Einzelheiten deutlich definiert, trotzdem lassen sich Kernideen benennen, um die herum die Theorie und die Praxis des Grammatikunterrichts aufgebaut sind. Diese Kernideen kreisen fast alle um das Konzept der Automatisierung.

·       Automatisierung ist praktisch immer das offiziell deklarierte wichtigste Ziel des Grammatikunterrichts. Verwirklicht werden soll sie durch Übungen unterschiedlicher Form, die jeweils eine spezifische sprachliche Regularität zum Thema haben. Vorausgesetzt (aber selten durch Argumente belegt) wird, dass Automatisierung von derart vereinzelten sprachlichen Regularitäten in jedem Fall möglich ist und dass Übungen das adäquate Mittel dafür sind.

·       ‚Automatisierung‘ ist ein Konzept, das in Bezug auf aktiven Formengebrauch definiert ist. Dies zieht wie von selbst das Prinzip der Produktionsorientierung im Grammatikunterricht nach sich. Diese Vorstellung prägt in beinahe allen Lehrbüchern und Grammatikmaterialien den Zugang zu den grammatischen Themen, die Auswahl und die Form der Übungen.

·       ‚Automatisierung‘ bezieht sich immer auf eine Regularität der Zielsprache, ein generelles normatives Muster der Ausdrucksbildung. Diese Regularität bildet den Angelpunkt für die Auseinandersetzung mit Grammatik: Sie wird als Regel gefasst, ihre linguistischen Parameter werden definiert, und dann wird sie geübt. Die Lernenden verfügen nun über ein (in den meisten Fällen begrifflich explizites) Wissen über Sprache, wie es im natürlichen Spracherwerb nicht verfügbar ist. Erwartet wird, dass dieses ihr sprachliches Tun anleiten und steuern wird.

Dies ist ein starkes Konzept mit einer gewissen Überzeugungskraft. Sprachgebrauch basiert auf Automatismen, und es ist die Aufgabe des Sprachunterrichts, solche aufzubauen. Und da wir schon Grammatikunterricht machen, scheint es naheliegend zu erwarten, dass diese Arbeit hier geleistet wird.

Andererseits: Der Sprachkontakt im ungesteuerten Spracherwerb zeigt kaum irgendwo auch nur entfernte Ähnlichkeiten mit dem, was dieses unterrichtliche Automatisierungskonzept vorsieht. Es beruht auf einem geradezu unmäßigen Vertrauen in die Wirksamkeit nicht-natürlicher, sekundärer Verfahren. Und was die angezielten Ergebnisse angeht: Die auf direktem Wege, ohne Zwischenstufen stattfindende Automatisierung einzelner zielsprachlicher Regularitäten ist im natürlichen Spracherwerb keinesfalls die Regel.

Der Kontrast zu den Vorstellungen zum Sprachwerb, die im letzten Abschnitt angesprochen wurden, ist also riesig. Und dies ist ein Problem. Irgendetwas kann hier nicht stimmen.

 

2.2 Enttäuschte Erwartungen – erwartbare Bestätigungen

Eine Einsicht, die jede Lehrkraft und alle Lernenden irgendwann einmal haben, ist die: Das mit der Automatisierung, das ist so eine Sache. In einigen Bereichen scheint es zu gelingen, durch Unterweisung recht rasch eine einigermaßen stabile Beherrschung der entsprechenden Formen zu erreichen (Präteritum, die Rektion von Präpositionen – allerdings mit Ausnahme der Wechselpräpositionen, die Paradigmen von Artikeln, Pronomina etc.). In relevanten Kernbereichen der Grammatik bringen dagegen noch so viele Übungen keine Automatisierung zustande, zumindest nicht auf kurze Frist (Verbstellung, Konjunktiv I/indirekte Rede, Konjunktiv II, Passiv, Gebrauch der Tempora). Im Unterricht fallen solche Dinge besonders dann auf, wenn nach längerem Üben im Gespräch in der Klasse die eben thematisierten Formen nicht oder falsch verwendet werden. Beobachtungen dieser Art werden durch Dutzende von Untersuchungen bestätigt (stellvertretend s. die große Studie von Diehl et al. 2000).

Es gibt also Anlass, dem impliziten Versprechen zu misstrauen, das in dem oft wiederholten Satz steckt, der Grammatikunterricht diene der Automatisierung. Zunächst könnte man versucht sein, das Konzept zu retten und für den mangelnden Erfolg Fehler in den Verfahren des Grammatikunterrichts geltend zu machen. Noch mehr Erklärungen, noch mehr Übungen helfen aber meiner Erfahrung nach bei weitem nicht immer. Dies darum, weil es tiefere und kaum außer Kraft zu setzende Gründe dafür gibt, warum Automatisierung auf diese Weise nicht herstellbar ist.

Diese Gründe werden sofort klar, wenn man sich auf ein kleines Gedankenexperiment einlässt. Ich lade also dazu ein, provisorisch anzunehmen, dass das oben über primäre, natürliche Sprachlernprozesse Gesagte stimmt. Nehmen wir zusätzlich an, dass die entsprechenden Lernverfahren auch im Unterricht wirksam sind. Dies erlaubt uns zu erwarten, dass die Lernenden in ihrem schulischen Sprachkontakt Schritt für Schritt eine gewisse zielsprachliche Kompetenz erwerben – keine perfekte, sondern eine Interimskompetenz, die sich auch in typisch lernersprachlichen Fehlern, Schwierigkeiten etc. zeigt. Sehr ähnlich, wie dies bei Leuten beobachtbar ist, die die Sprache ohne Unterricht lernen.

Der Grammatikunterricht und das in ihm vermittelte Wissen über Sprache ist in dieser Sichtweise ein Hilfmittel, das geeignet ist, den Lernenden mehr Überblick zu geben, als sie im ungesteuerten Erwerb haben. Sie bekommen zusätzliche Informationen und Hinweise, die es ihnen erleichtern, die sprachlichen Erscheinungen besser zu ordnen, Gleichartigkeiten wahrzunehmen, die Funktion von Sprachmitteln zu erkennen etc. Kurz gesagt: Sie können sich in dem Sprachangebot, das an sie herangetragen wird, viel besser orientieren, und sie können in ihren eigenen kommunikativen Äußerungen gewisse Dinge besser (komplexer, korrekter) sagen, als sie es ohne dieses Wissen täten.

Dieses Wissen ist im natürlichen Erwerb nicht gegeben. Wir können also annehmen, dass es nicht organischer Teil der Basis-Sprachkompetenz ist, sondern ein zusätzlich verfügbares Instrument der Steuerung und Kontrolle von Verstehens- und Äußerungsprozessen – ähnlich, wie eine Brille nicht Teil des Sehapparats des Menschen ist, diesen aber ‚von außen‘ in seinem Funktionieren unterstützt.

Auf der Grundlage einer solchen Vorstellung von Lernen können wir die Hypothese aufstellen, dass sich etwa folgende Beobachtungen machen lassen müssten:

·       Leute, die im Unterricht Sprache lernen, sprechen von Anfang an korrekter und komplexer als die anderen. Sie haben ja einen viel ordentlicheren, auf sie zugeschnittenen Input und sie haben zudem als Hilfsmittel, über das die anderen nicht verfügen, ein Wissen über Sprache, das ihnen hilft, sich besser zu orientieren.

·       Wir erwarten eine raschere Sprachentwicklung, auch eine, die letztlich näher an die Norm der Zielsprache herankommt (vorausgesetzt, die Lernenden brechen ihren Sprachkontakt nicht ab). Wir erwarten aber gleichzeitig auch, dass die für Lernersprachen üblichen Phänomene des Sprachaufbaus nicht ausbleiben (Re-Konstruktion des Systems der Zielsprache, Entwicklung komplexer Strukturen über verschiedene Phasen der Entwicklung hinweg etc.).

·       Da Wissen über Sprache nicht Teil der unbewussten, spontan wirkenden Sprachkompetenz ist, muss es durch eigene Verfahren zur Geltung gebracht werden. Es wird in bewussten Akten der Neuformulierung und Korrektur angewendet, in sekundären Prozessen also, die auf Formulierungen angewendet werden, die mehr oder weniger spontan produziert werden.

·       Da Wissen über Sprache bewusst eingesetzt wird, ist der Einsatz dieses Wissens von günstigen Rahmenbedingungen abhängig, nämlich von Aufmerksamkeit und freier Verarbeitungskapazität. Da diese nicht immer gegeben sind, fluktuiert die Qualität der Performanz von Lernenden. Müssen sie spontan reagieren (wie dies vor allem in Gesprächen der Fall ist), dann kommt es immer wieder vor, dass Dinge, die sie im Prinzip wissen, in ihren Äußerungen nicht zum Ausdruck kommen (vielleicht, weil sie gleichzeitig Wortfindungsprobleme haben und dies ihre Aufmerksamkeit bindet). Es ‚entgeht‘ ihnen dann einfach, dass sie etwas auf eine Weise sagen, von der sie ‚eigentlich‘ wissen, dass es falsch ist. Entsprechend zeigen Lernende im Schriftlichen, wo mehr Zeit für bewusste Verarbeitung bleibt, normalerweise eine eher korrektere Sprachbeherrschung.

Nun, eigentlich treffen diese Hypothesen genau das, was wir im Unterricht beobachten können und was auch schon fast unzählige Untersuchungen bestätigt haben (vgl. Ellis 1997, Diehl et al. 2000, Wode 1993). Die ersten beiden Punkte betreffen Dinge, die besonders bei vergleichenden Untersuchungen deutlich werden. Dass es einigermaßen typische Entwicklungsphasen und mit ihnen verbundene Auffälligkeiten gibt, wird aber auch jede Lehrkraft nach einigen Jahren der Erfahrung bestätigen. Die Phänomene, die sich auf den Einsatz von Wissen über Sprache beziehen, sind dagegen jederzeit und leicht beobachtbar: Grammatische Selbstkorrekturen zeigen die zeitliche Verzögerung, die der Einsatz von Wissen über Sprache durch sekundäre Prozesse der Überformung zur Folge hat; die Suche nach ‚dem korrekten Ausdruck‘ zeigt, dass der oder die Sprechende im Verlauf der Ausdrucksbildung auf einen Punkt gestoßen ist, an dem eine Regel anzuwenden ist. Diese steht aber nicht spontan und automatisch zur Verfügung, sondern muss bewusst aufgerufen und eingesetzt werden.

Ich möchte das Gedankenexperiment hier abbrechen. Die Voraussagen, die aufgrund unserer Voraussetzungen möglich werden, zeigen ein ziemlich realistisches Bild von dem, was im aktuellen unterrichtlichen Spracherwerb tatsächlich zu beobachten sind. Die Annahmen, die dem zugrunde liegen, sind sicher noch nicht vollständig, aber um einiges erklärungskräftiger als die Automatisierungsthese.

Eine Frage mag hier besonders interessieren: In unseren Annahmen wird nichts über Automatisierung gesagt. Wie steht’s mit ihr? – Nun, wenn die Annahmen stimmen, lässt sich sagen: Sie ist keine Frucht des Grammatikunterrichts. Dieser stellt Hilfestellungen dafür zur Verfügung. Automatisierung stellt sich primär in der kommunikativen, situierten Sprachpraxis ein, als kumulierter Effekt einer Vielzahl von Lernerfahrungen.[2] Wo Automatisierung eintritt, ist bewusster Einsatz von Wissen nicht mehr nötig, die Produktion stabilisiert sich und zeigt nicht mehr die typische lernersprachliche Fluktuation. In je mehr Bereichen und je weiteren Kontexten eine derartige Sprachbeherrschung erreicht ist, desto weniger bewusste Steuerung und Kontrolle ist nötig, desto weniger leicht werden die Sprechenden durch äußere oder innere Belastungen bei der Sprachausübung gestört. Bei Muttersprachigen ist dieses spontan funktionierende System so stabil, dass nur extreme Zustände (große Müdigkeit, Trunkenheit, Krankheit etc.) nennenswerte Folgen zeigen.

 

2.3 Das Erbe des Audiolingualismus

Das Konzept der Automatisierung wurde vom Audiolingualismus unter Berufung auf die behavioristische Lerntheorie in die Fremdsprachendidaktik eingeführt. Nun hat diese Lerntheorie schon längst ihre Überzeugungskraft verloren. Erstaunlicherweise lebt aber das Konzept in der Fremdsprachendidaktik bis heute weiter. Warum?

Es ist wohl keine allzu gewagte Hypothese, dass es dazu dient, auf wichtige Fragen des unterrichtlichen Lehrens eine Antwort zu geben.

·       Ich habe mich eben auf ‚Sprachpraxis‘ berufen. Wenn diese der eigentliche Motor des Spracherwerbs ist, dann haben wir ein didaktisches Problem. Unterricht ist ein Ort, der es aus institutionellen und numerischen Gründen schwer macht, allen Lernenden die Gelegenheit für intensive kommunikative Sprachpraxis zu bieten. Wenn es gelingt, für Automatisierung außerhalb dieses Rahmens zu sorgen, ist diese Schwäche der schulischen Lernsituation entschärft. Übungen wären in dieser Perspektive der Ersatz für die zu geringe Gelegenheit der Lernenden, sich selbst aktiv mit der Sprache auseinanderzusetzen.

Der Preis, der für diese ‚Verschiebung‘ zu zahlen ist, ist die nur zu häufig anzutreffende Kommunikationsferne produktiver Übungen: eine eher marginale Beschäftigung mit Fragen der Bedeutung grammatischer Phänomene (d.h. eine forcierte Formorientierung), eine Isolierung grammatischer Regularitäten voneinander und aus dem Kontext sowie eine Abspaltung des Grammatikunterrichts und seiner Verfahren vom ‚Rest‘ des Unterrichts (vgl. Portmann-Tselikas 2001).

·       Da vieles lange Zeit braucht, bis es verlässlich in die Lernergrammatik Eingang gefunden hat, sind wir ständig in Unsicherheit darüber, ob die Lernenden noch auf dem Weg oder, wie man etwas brutal sagt, am Fossilieren sind. Was wir dringend nötig haben, ist eine leicht handhabbare Symptomatik, die es erlaubt, hier die notwendigen Unterscheidungen zu treffen. Über eine solche verfügen wir erst in Ansätzen. Die seit dem Audiolingualismus nie abgebrochene Faszination der Didaktik durch das Konzept der sofortigen Automatisierung lässt sich interpretieren als Versuch, diese Schwierigkeit dadurch zu lösen, dass man sie erst gar nicht aufkommen lässt (vgl. Portmann-Tselikas 1999).

·       Das Konzept der Automatisierung bürdet den Lehrerinnen und Lehrern eine schwierige Aufgabe auf, hievt sie aber auch in die schöne Position von Experten und Schiedsrichtern: Sie führen vor, erklären, entscheiden über richtig und falsch und bringen damit ihr Fachwissen zur Geltung. Alle alternativen Konzepte, die ich kenne, weisen der Lehrkraft eine diffusere, weniger eindeutige und weniger leicht zu erfüllende Rolle zu.

Natürlich führt der Realitätssinn der Lehrenden dazu, dass sie die mit dem Konzept der Automatisierung verknüpften Postulate eher auf die leichte Schulter nehmen (die Lernenden tun dies ohnehin, sie wissen um die Unerfüllbarkeit der Forderung). Die Tatsache, dass dieses Konzept in Bezug auf den Grammatikunterricht aber weiterhin – offiziell oder nicht – in Geltung ist und nicht über Bord geworfen wird[3], hat wichtige Konsequenzen, die geradezu als Barrieren gegen didaktische Erneuerung wirken. Ich verweise hier nur auf zwei Punkte:

1) Die Didaktik der Grammatik baut weiterhin recht einseitig auf Verfahren auf, die fast systematisch Dinge ausblenden, die für das Lernen wichtig sind. Ich habe im ersten Abschnitt einiges angesprochen und werde unten näher darauf eingehen.

In der Praxis des Unterrichts führt die offensichtliche Schwierigkeit, das offizielle Ziel zu erreichen, nicht selten zu Zynismus (man „macht halt Grammatik, auch wenn’s nichts bringt“, es herrscht da ja ein gewisser Zwang) und wertet dadurch die eigene Arbeit wie die der Lernenden ab. Oder es werden die nicht erfolgreichen Lehr-/Lernmuster hilflos repetiert, in der Hoffnung, die Lehre von der Automatisierung werde irgend einmal doch noch ihre Wahrheit erweisen.

2) Wenn wir das Ziel automatisierten Sprachverhaltens in den Vordergrund stellen, blenden wir eine Erfahrung aus, die alle Lernenden machen (und auch ihre LehrerInnen, zumindest, wenn diese nicht ihre eigene Muttersprache unterrichten): nämlich die, dass das Verstehen und Sprechen einer Fremdsprache in einem anderen modus operandi erfolgt als in der Muttersprache. (Fast) alle sind nicht nur während der Phasen des Übens, sondern dauerhaft auf mehr Bewusstheit, größere Aufmerksamkeit, sprachsensibleres Denken und Kommunizieren angewiesen als in der Muttersprache. Auch dann, wenn die wesentlichen Grundlagen der Grammatik gut, sogar sehr gut beherrscht sind – sie sind nicht auf dieselbe Weise automatisiert wie in einer Erstsprache. Grammatikunterricht könnte ein Ort sein (nicht der einzige, hoffe ich), der dazu beiträgt, bewusst eine Kultur der Fremdsprachigkeit zu entwickeln, und diese soll nicht gegenüber der der Muttersprachigkeit schon in der didaktischen Basisterminologie abgewertet werden. Dies ist aber der Fall, wenn das wichtigste Ziel des Unterrichts darin besteht, diese Andersartigkeit so rasch wie möglich zum Verschwinden zu bringen. Anders ausgedrückt: Der ‚bildende‘ Effekt des Fremdsprachenlernens besteht nicht nur in dem, was die fremde Sprache und die mit ihr verbundene Lebenswelt den Lernenden sozusagen ‚inhaltlich‘ zu bieten haben. Fremdsprachig-Sein zwingt zu einer anderen, aufmerksameren Art der Sprachverarbeitung, d.h. zu einer bewussteren und sorgfältigeren Abgleichung der Mitteilungsintention mit den zur Verfügung stehenden Sprachmitteln im Hinblick auf die Erfordernisse der Kommunikationssituation. Vergleichbare Erfahrungen, wenn auch aus anderen Gründen, sind in der Muttersprache am ehesten beim Schreiben zu machen.

 

3  Versuch einer Neupositionierung

Nach dem bisher Gesagten ist die folgende Charakterisierung der Aufgabe von Grammatikunterricht sicherlich keine Überraschung. Ich stelle sie einfach hin und kommentiere anschließend einige Punkte, die ich für besonders wichtig halte.

Grammatikunterricht hat die Aufgabe, anwendbares, d.h. praktisch nutzbares grammatisches Wissen zu vermitteln. Dieses hat eine eigenständige Funktion im Umgang mit der fremden Sprache: Es hilft, Aufmerksamkeit auf relevante Aspekte dieser Sprache zu fokussieren und ermöglicht eine klarere Orientierung im komplexen Bereich der sprachlichen Formen/Strukturen und ihrer Bedeutung. Den Lernenden eröffnet sich damit die Möglichkeit eines fruchtbareren Sprachkontakts sowohl im Hinblick auf die Lernaufgabe wie auch zur Bewältigung von Kommunikationssituationen.

Die beiden Komparative in diesem kurzen Text signalisieren implizit, aber deutlich genug den Bezug zum ungesteuerten Spracherwerb. Die Verfügbarkeit von Wissen über Sprache verändert die Lernbedingungen tiefgreifend, ohne dass deswegen die grundsätzliche Gemeinsamkeit angetastet würde: Jedes Sprachlernen basiert auf der Bemühung, Form und Bedeutung einzelner Äußerungen miteinander zu verbinden. Wissen über Sprache erlaubt es, diese stets konkreten Bemühungen gezielter und bewusster zu unternehmen. Voraussetzung dafür, dass dies gelingt, sind: 1) Das Wissen muss prinzipiell anwendbar sein – es muss praktisches Wissen sein, und 2) es muss auch tatsächlich eingesetzt werden.

 

3.1 Anwendbares Wissen

Es ist in der Didaktik immer wieder davon die Rede, dass Grammatik ‚abstrakt‘ sei, dass die linguistische Terminologie schwierig zu vermitteln sei etc. Damit wird auf andere Weise das angesprochen, was hier zur Diskussion steht. Um ein Beispiel zu geben: Dass das finite Verb im deutschen Aussagesatz an zweiter Stelle steht, bleibt solange abstraktes Wissen, als unklar ist, was ‚die erste Stelle‘ an Füllung verträgt. Die Regel kann jeder in einer Minute lernen, aber was sie in Bezug auf konkrete Entscheidungen im Umgang mit Sprache besagt, ist damit noch nicht geklärt. Ähnliches gilt für Begriffe. Die Studierenden in den eingangs erwähnten Szenen kannten die Termini ‚Akkusativ‘ und ‚Dativ‘ bzw. ‚Grundwort‘ und ‚Bestimmungswort‘. Die Studentin konnte aber mit dem besten Willen nicht herausfinden, wozu die Kasus gut sein sollten; in Bezug auf die zusammengesetzten Nomina zeigte die Diskussion, dass vielen in keiner Weise klar war, was der dürre Begriff ‚Grundwort‘ ganz praktisch für die Interpretation bedeutet und was es heißt, dass das ‚Bestimmungswort‘ in verschiedenen Beispielen in unterschiedlicher Relation zu diesem Grundwort steht. Dass ich als Lehrer das gesagt, sogar betont hatte, führte nicht dazu, dass alle oder auch nur die meisten Studierenden dies mit ihrem Wissen und ihren Spracherfahrungen verbinden konnten.[4]

Solange diese Vermittlung mit dem Sprachmaterial nicht gelingt, sind Begriffe und abstraktes Wissen weitgehend leeres Stroh. Ich habe im ersten Abschnitt von ‚Vertrautheit‘ gesprochen, die aufzubauen sei. Ist Vertrautheit gegeben, erkennt man im Sprachmaterial bestimmte ‚Muster‘ und kann in unterschiedlichen Äußerungen ‚dasselbe Muster‘ wieder finden, obwohl es mit anderem lexikalischem Material realisiert ist. Auf der Grundlage von Vertrautheit sind Begriffe potente Hilfsmittel, die es erlauben, Phänomene klarer zu fassen und gegen andere abzugrenzen[5]; Begriffe allein stellen diese Vertrautheit nicht her.

Ich halte es für den ersten und wichtigsten Zweck von Übungen, Wissen über Sprache in diesem Sinne praktisch und anwendbar zu machen, d.h. Vertrautheit zu erzeugen. Dies ist notwendige Vorarbeit für die Aufgabe der Automatisierung. Wenn es gelingt, durch Übungen im einen oder anderen Falle tatsächlich einen raschen Transfer neuen Wissens in spontan beherrschte sprachliche Verhaltenszüge zu erreichen, dann umso besser. Die Hoffnung auf solche weitergehenden Effekte sollte uns aber nicht davon abhalten zu fragen, wie die Lernenden am leichtesten mit grammatischen Phänomenen vertraut werden und welche Formen von Übungen am besten dazu beitragen können, dieses erste und grundlegende Ziel zu erreichen.[6]

 

3.2 Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit ist eine Ressource, die in jedem, auch im ungesteuerten Lernen zur Verfügung steht, und zumindest für adoleszente und erwachsene Lernende sind die Momente der Aufmerksamkeit wesentliche Faktoren des Lernens: Sie sind entscheidend für das, was am Input wahrgenommen wird und die Chance bekommt, weiter verarbeitet zu werden.

Was Aufmerksamkeit im Unterricht auszeichnet, ist die Verfügbarkeit von Wissen über Sprache. Werden Lernende auf nicht sofort interpretierbare Aspekte im Sprachangebot aufmerksam, kann durch dieses ‚Aufmerken‘ eine Brücke zum Wissen hergestellt werden. Treffen sie im Versuch, einen Gedanken zu formulieren, auf ein Problem oder eine Unsicherheit, kann dieses Problematisch-Werden Anlass sein, einschlägiges Wissen aufzurufen und anzuwenden. In beiden Fällen besteht die Chance, dass der ‚Moment der Aufmerksamkeit‘ aufgrund dieses Wissens eine informationsreichere, tiefere und stabilere (und korrektere) sprachliche Verarbeitung erlaubt, als dies ohne Wissen möglich wäre. Dies ist gemeint, wenn in der oben gegebenen Charakterisierung von einer besseren Orientierung im Blick auf die Lernaufgabe bzw. im Hinblick auf die Kommunikation die Rede ist (vgl. dazu Hulstijn & de Graaf 1994, die Beiträge in Hulstijn & Schmidt (Hg.) 1994, Schmidt (Hg.) 1995, van Patten 1994; Portmann-Tselikas 2001, 2002).

Aufmerksamkeit ist das ‚Medium‘ der Anwendung von Wissen und verantwortlich für das Zustandekommen von ‚sekundären‘ Prozessen der Sprachverarbeitung. Diese sind die Wegbereiter für eine tatsächliche Automatisierung, die letztlich fast immer in der Sprachpraxis passiert, häufig in einem längerdauernden Prozess zusehends präziserer und sicherer ‚Fein-Einstellung‘ der Sprachkompetenz auf die Anforderungen der Kommunikation. Auch erfahrene LernerInnen des Englischen mit deutscher Muttersprache werden sich etwa in Bezug auf die ‚progressive form‘ immer neu vor die Frage gestellt sehen, ob sie diese in einem konkreten Kontext nun anwenden sollen oder nicht. Sie werden zwar in den meisten Fällen ‚automatisch‘ die richtige Form wählen, daneben aber immer wieder auf problematische Kontexte treffen und bewusst entscheiden müssen.

Grammatikunterricht bereitet auf diese permanente Aufgabe nicht nur dadurch vor, dass er anwendbares Wissen zur Verfügung stellt, sondern auch dadurch, dass er für die Notwendigkeit aufmerksamen Umgangs mit der Sprache sensibilisiert sowie Vorbilder und Strategien dafür zur Verfügung stellt.

 

3.3 Konsequenzen für den Grammatikunterricht

Welche Folgerungen ergeben sich aus alledem für den Grammatikunterricht? Ich gehe hier nur auf zwei Punkte ein.

1) Eine Grundfrage der pädagogischen Grammatik ist, wie grammatische Phänomene zuhanden der Lernenden beschrieben werden sollen. Häufig wird diese so Frage zugespitzt: Welche Terminologie soll man verwenden, welche Grammatiktheorie zugrundelegen?

Wenn die hier eingenommene Position akzeptiert wird, dann lässt sich aus ihr zumindest ein wichtiges Kriterium für die Beantwortung dieser Fragen ableiten: Das vermittelte Wissen über Sprache soll Orientierung ermöglichen. Es darf nicht allein die Gesetze der Form in den Vordergrund stellen, sondern soll das für jeden rezeptiven und produktiven Gebrauch wesentliche Moment der Bedeutung zu berücksichtigen und zu thematisieren erlauben (vgl. dazu Newbys (2002) Entwurf der Grundlagen einer semantisch operierenden pädagogischen Grammatik sowie seine Grammatik für Englischlernende (1999)).

Ich bin mir nicht sicher, ob die Beschreibungen, die wir bisher verwenden, dieser Forderung auf genügende Weise nachkommen. Bedeutungen werden sicher nicht ausgeklammert oder verschwiegen, aber kaum differenziert oder gar gleichgewichtig mit den formalen Aspekten behandelt. Allerdings gibt es im deutschsprachigen Raum noch kaum eine reiche Tradition der Grammatikschreibung, auf die man zu diesem Zweck zurückgreifen könnte. In den letzten Jahren zeigt sich aber ein vermehrtes Interesse an Sprachbeschreibungen, die funktionalen und semantischen Aspekten eine tragende Rolle zubilligen (etwa Radtke 1998). Es ist anzunehmen, dass die hier gemachten Einsichten über kurz oder lang auch den Grammatikunterricht beeinflussen.

2) Eine zweite, vielleicht wichtigere Frage ist, welche Verfahren im Grammatikunterricht geeignet sind, die hier skizzierte Aufgabe zu erfüllen. Ich halte den produktionsorientierten Zugang nicht einfach für falsch,[7] aber für einseitig und nicht leistungsfähig genug.

·       Viele grammatische Erscheinungen müssen primär verstanden werden. Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist das Passiv. Man kann sich mündlich sehr gut ausdrücken, ohne je das Passiv zu verwenden. Aber man kann keine Zeitung mit Verständnis lesen, ohne es zu verstehen, und zwar: ohne es genau zu verstehen. Der produktonsorientierte Grammatikunterricht überspringt diesen Sachverhalt.

·       Auch grammatische Erscheinungen, die aktiv beherrscht werden sollen, müssen wahrgenommen und verstanden werden können, damit der Sprachkontakt außerhalb des Grammatikunterrichts wahrhaft produktiv sein kann. Nur dann kann die praktische Erfahrung damit längerfristig zu einem konsolidierten Lernergebnis beitragen.

Wenn die zu lernende Form von Anfang an aktiv verwendet werden muss, haben die Lernenden genau diese Gelegenheit nicht, bewusst und deutlich wahrzunehmen, wie Sätze und Formulierungen aussehen und tönen, in denen diese Form korrekt und vorbildhaft verwendet wird.[8]

·       Bei produktionsorientierten Übungen steht häufig von vornherein fest, welche Form zu verwenden ist (Passiv, Konjunktiv II, ...). Damit wird die entscheidende semantische Dimension einer sprachlichen Konstruktion ausgeblendet. Die Konstruktion kann ‚blind‘, ohne Verständnis für die involvierten Veränderungen der Aussage oder der Darstellungsperspektive manipuliert werden. Ein wesentliches Ziel des Übens – die bewusste Kenntnisnahme nicht nur der formalen, sondern auch der inhaltlichen Seite grammatischer Strukturen und der Usanzen ihres Gebrauchs – kann so nicht oder nur am Rande erreicht werden. Der freien, kommunikativen Verwendung dieser Strukturen wird damit nicht optimal vorgearbeitet.

·       Im produktionsorientierten Grammatikunterricht liegt der Fokus auf der gerade behandelten Regularität. Das macht oft blind für die Schwierigkeiten, die Lernende haben, wenn bereits andere, aber formal ähnliche Konstruktionen gelernt worden sind. Die Aufgabe besteht dann nicht nur darin, eine neue Regularität zu lernen, sondern genauso darin, sie von der anderen zu unterscheiden. Dies ist eine Aufgabe, die wieder zunächst im Erkennen, nicht im Produzieren zu lösen ist.

Die Stichworte in Abschnitt 1.3 zeigen, in welche Richtung eine weiter gefasste, den Aufgaben an den Grammatikunterricht besser angespasste Konzeption gehen müsste. Der folgende Abschnitt dient der Darstellung einiger Verfahren, die hier in Frage kommen könnten. Viele weitere sind denkbar. Die Auseinandersetzung mit nicht-produktionsorientierten Formen des Übens sowie der Vermittlung von Modellen und Strategien aufmerksamen Umgangs mit Sprache hat zwar Tradition, ist aber gerade im Bereich der Grammatikvermittlung fast stets nur marginal vertreten gewesen. Entsprechend gibt es hier vieles wieder und neu zu entdecken, zu verfeinern und zu erproben.

 

4  Verfahrensweisen für den Grammatikunterricht

Die hier dargestellten Typen von Übungen realisieren Formen der Auseinandersetzung mit Sprache, die die Schwierigkeiten, Einseitigkeiten und Konfusionen zu vermeiden suchen, die traditionelle Grammatikarbeit oft auslöst, und die es erlauben, die Arbeit an der Grammatik kommunikationsbezogen und kooperativ zu führen: In der Diskussion und Auseinandersetzung mit dem, was Grammatik für das Verstehen und den Ausdruck von Gedanken beiträgt.

 

4.1 Präsentation: Formen mit Bedeutungen verknüpfen

Eine uralte Weise, grammatische Phänome zu präsentieren, ist die Darbietung von Texten, in denen sie gehäuft vorkommen. Zusätzlich können die entsprechenden Wörter, Morpheme oder Strukturen graphisch hervorgehoben werden. Der Zweck solcher Verfahren ist, eine Regularität im Kontext zu zeigen und diesen zu nutzen, um die Lernenden auch ohne weitläufige Erklärungen auf die Spur der Bedeutung kommen zu lassen.

Im Gefolge der kommunikativen Didaktik sind solche Verfahren und die verwendeten Texte als ‚unauthentisch‘ weitgehend aus dem Unterricht verbannt worden. Abgesehen davon, dass es authentische Texte gibt, die für solche Zwecke verwendet werden können – Grammatikübungen sind auch nicht immer gerade ‚authentisch‘, und als Verfahren im Zusammenhang mit der grammatischen Präsentation ist gegen solche Versuche zumindest dann wenig einzuwenden, wenn sie es erlauben,

·       grammatische Regularitäten zugänglich zu machen, ohne sie zu isolieren, und sie gleichzeitig in unterschiedlichen Sätzen, in verschiedenartigen syntaktischen bzw. lexikalischen Umgebungen zu zeigen;

·       sie auf dem Weg über das konkrete Verständnis (bzw. die Verständnishypothesen) der Lernenden zu thematisieren, zu besprechen und auf ihre Leistung in konkreten sprachlichen Kontexten aufmerksam zu machen. Dies kann und soll in alltäglichen, nicht-linguistischen Termini geschehen;

·       ihre begriffliche Fassung bzw. ihre schematische Darstellung so weit zu verschieben, bis sie als Resultat der Auseinandersetzung vorgenommen werden kann, so dass sie zur präzisen Beschreibung und Benennung einer bereits bekannten Erscheinung dient.

Ein solcher Zugang versucht, das Erkennen und Verstehen als Basis für die Begriffsbildung zu nehmen, nicht umgekehrt. Und es setzt dabei die gesamte bisher aufgebaute Kompetenz mit ein – diese ist nämlich gefragt, wenn es darum geht, den Text zu verstehen. Die neue Regularität wird damit von Anfang an im Zusammenhang mit der bereits bestehenden Sprachkenntnis und den Intuitionen der Lernenden gebracht. (Vgl. Sharwood Smith 1993. Doughty & Williams 1998 versammelt eine ganze Anzahl von Studien, lerntheoretischen Überlegungen und didaktischen Beobachtungen zu Präsentationsformen, die diesem Typ zuzurechnen sind).

Die Präsentation von Regularitäten ist im rezeptiven Grammatikunterricht auch direkt, kontextlos und zugespitzt möglich, so dass ohne Umschweife auf die (vorsichtiger ausgedrückt: auf eine) entscheidende semantische Leistung einer grammatischen Form aufmerksam gemacht werden kann. Ich habe eingangs zwei Beispiele gegeben, die auf diese Weise die Kontraste in ‚Minimalpaaren‘ ausnützen, um bestimmte Aspekte der Grammatik gezielt zugänglich zu machen.

 

4.2 Kontrastieren: Bedeutungsunterschiede ausbeuten – die Typik von Formen erkennen

Viele Texte stellen Ereignisse nicht in der Chronologie ihres Ablaufs dar, sondern in einer für die textuelle Darstellung relevanten Reihenfolge. Stellt man Lernenden die Aufgabe, die Chronologie der Ereignisse klarzustellen, wenden sie ihre Aufmerksamkeit zwangsläufig den Signalen zu, die temporale Ordnungen zu erkennen erlauben: Tempora, Adverbialien der Zeit, logische Konnektoren, Wissen um Zusammenhänge in der Welt.

Aufgaben dieser und ähnlicher Art sind beileibe nichts Neues oder Großartiges. Sie erlauben es jedoch, das Funktionieren unterschiedlicher (und nicht nur grammatischer) Systeme in ihrem Zusammenwirken in den Blick zu nehmen und – die Aufgabenstellung zeigt es – im Hinblick auf ihren Beitrag zur Bedeutung anzuschauen. Dieses ‚Anschauen‘ hat nichts Schwieriges an sich, auch nichts Belastendes, wie dies Grammatik sonst oft hat. Es geht darum, das, was im Sprachkontakt ohnehin passiert – Verstehen – in einigen Aspekten bewusst zu machen und den Beitrag alter, bereits bekannter und neuer, noch wenig geläufiger Formen im Kontrast zueinander und im Zusammenwirken miteinander nachzuvollziehen – und dabei generell einsetzbare Lernstrategien zu entwickeln.

Auch hier lässt sich mit der Methode der ‚Minimalpaare‘ auf höchst konzentrierte Weise die Charakteristik einzelner Formen bzw. Strukturen aufzeigen. Die ähnlichen, manchmal fast gleichlautenden Formulierungen realisieren ja ganz unterschiedliche Konstruktionen:

·       Er wurde nur aufgrund herausragender Leistungen zum Präsidenten gewählt

Er würde nur aufgrund herausragender Leistungen zum Präsidenten gewählt

·       Sie ist für immer von uns gegangen

Sie ist für immer von uns genommen

Hier werden grammatische Formen isoliert, aber anders als üblich: Ein beschränkter, aber entscheidender Kontext bleibt bestehen. Dieser zwingt zur Konstruktion einer möglichen Äußerungssituation für den Satz und hält auf diese Weise die Bedeutung im Vordergrund. Dies lässt die formale und inhaltliche Typik der Konstruktionen sichtbar werden. Diese Typik ist besonders wichtig dort, wo neu zu lernende Sprachmittel formale Ähnlichkeit mit bereits bekannten haben. In diesem Fall besteht die Aufgabe darin, die neue Form in den Rahmen des bereits Bekannten zu integrieren und die Lernenden zu befähigen, ihr ‚Profil‘ zu identifizieren – eine Aufgabe, die wie in diesen Beispielen unter Umständen bezüglich einer später zu lernenden dritten Form erneut anzugehen ist (etwa bei Futur vs. Passiv mit ‚werden‘ vs. Konjunktiv mit ‚würde‘ vs. Passiv mit ‚sein‘ vs. Perfekt mit ‚sein‘).

Analoges gilt dort, wo formal unähnliche Mittel einander nahe Bedeutungen aufweisen oder sich in ihren Bedeutungen überschneiden (etwa Präteritum vs. Perfekt). In solchen Fällen wird besonders deutlich, dass die Kenntnis der Form für das Verstehen nicht ausreicht. Im Hinblick auf das Erkennen von Gebrauchsweisen fruchtbar ist die Vorgabe von Situationen mit der Frage, wie jemand sich mit einer besonderen Aussageabsicht im Kopf in ihnen äußern könnte. Im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Tempusformen z.B.:

 

Bist du schon einmal in Schweden gewesen?

     A     Ja, ich

war

schon zwei Mal dort

 

     B     Nein, ich

bin

noch nie dort

gewesen

     C     Ja, ich

 

ganz kurz einmal in Stockholm

 

 

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass MuttersprachlerInnen im ersten Fall das Perfekt, im zweiten das Präteritum verwenden würden, im dritten ist Eindeutigkeit wohl nicht gegeben (vgl. dazu auch Newby 2002, Kap. 11). Dass diese Dinge nicht einfach zu handhaben sind, ist klar – aber für die Sprachbeherrschung sind sie ganz offensichtlich von Belang, und die Nähe des Grammatikunterrichts zu Fragen des Sprachgebrauchs wird durch ein Absehen von solchen Dingen nicht gefördert.[9]

 

4.3 Übergang zur Produktion

Wie wäre es, wenn Übungsvorgaben die neu zu lernenden Mittel bzw. Formen enthielten und die Lernenden die Aufgabe bekämen, auf dieser Basis Umformungen vorzunehmen, die von ihnen den aktiven Gebrauch bereits besser bekannter Konstruktionen erfordern? Die übliche Richtung der Aufgabenstellung ist umgekehrt: vom Bekannten zum Neuen. Dies ist lerntheoretisch für spätere Stadien unbedenklich, als Einstieg ins Üben eher befremdlich.

Der hier vorgeschlagene Weg hat den Vorteil, dass die Lernenden sich an das Neue gewöhnen und es besser verstehen lernen, was ohnehin ihre erste Aufgabe ist. Die Neuformulierung mithilfe bekannter Sprachmittel fordert sie auf vertrautem Terrain und erlaubt ihnen eine leichtere Kontrolle von Form und Bedeutung. Und vor allem: Die Umformungen brauchen nicht stereotyp zu sein. Während die produktiven Übungen fast immer nur eine Lösung zulassen – diejenige nämlich, die das neue Mittel verwendet – können ‚Rückformulierungen‘ unterschiedliche Form annehmen und erlauben, die Aufmerksamkeit nicht nur auf das zu richten, was ‚richtig‘ ist, sondern auch auf das, was üblich ist. Schauen wir uns die folgende Vorgabe an:

·       „Von wem wurde ‚Effie Briest geschrieben? – Von Fontane.“

            Ich hätte nicht gewusst, dass ...

Antworten könnten hier sein: ..., dass ‚Effie Briest‘ von Fontane ist/stammt oder ..., dass ‚Effie Briest‘ ein Roman von Fontane ist oder ... dass es Fontane war, der ‚Effie Briest‘ geschrieben hat – alles Versionen, die wahrscheinlich besser sind als ... dass Fontane ‚Effie Briest‘ schrieb und in der Reichweite der Lernenden liegen.

Das Beispiel zeigt deutlich die Chancen, aber auch die Schwierigkeiten einer semantisch sensiblen Übungsanlage (dies gilt für produktions- wie für rezeptionsorientierte Verfahren): Es ist nicht einfach, Sprachgebrauch spiegelnde Übungsvorgaben im Satzformat oder in einem satzähnlichen Format zu machen. Die Resultate simpler formaler Transpositionen sind häufig kommunikativ kaum akzeptabel. Übungen im Textformat sind in dieser Hinsicht vielleicht noch anspruchsvoller. Eine rein formorientierte Übungsanlage macht die Sache leichter – sie entwertet aber die Sätze nur zu oft zu reinem Sprachmaterial, bringt kaum Einblick in den wirklichen Sprachgebrauch und erschwert den Transfer in die Sprachpraxis.[10]

 

4.4 Integrierte Arbeitsformen: Grammatik kreativ

Schließlich möchte ich hinweisen auf eine Arbeitsform, die die viel von dem hier Geforderten aufnimmt, indem sie Rezeption, Reproduktion und Produktion, Lesen, Schreiben und Sprechen, Sprachgebrauch und bewusste Aufmerksamkeit auf Sprache intensiv miteinander verbindet. Sie beruht letztlich auf der Idee des Dicto-Comp, kann aber, wie Gerngroß, Puchta & Krenn (1999) überzeugend zeigen, in vielfältiger Weise variiert werden. Hier werden die zentralen Forderungen ‚rezeptiver Grammatik‘ erfüllt und gleichzeitig Türen für weitere, auch produktive Formen des Sprachkontakts aufgemacht – auf eine Weise, die sonst im Grammatikunterricht eher nicht zu sehen ist.

 

5  Zum Abschluss

Eine Sprache erwerben bedeutet, dass man sich im Feld zwischen Form und Bedeutung sprachlicher Äußerungen zurechtzufinden lernt. Ich habe in diesem Beitrag versucht zu zeigen, welche Konsequenzen sich aus dieser Feststellung für den Grammatikunterricht ergeben. Das Resultat ist keine Revolution, aber eine deutliche Verschiebung der Schwerpunkte: andere Zielsetzungen, veränderte Erwartungen, vielfältigere Verfahrensweisen, größere Nähe zur ‚natürlichen‘, kommunikativen Einstellung auf Sprachliches. An keiner Stelle habe ich den Sinn von Grammatikunterricht bezweifelt. Zumindest in Bezug auf kognitiv reife, literate Lernende kann darauf, glaube ich, tatsächlich nicht verzichtet werden[11], ganz abgesehen davon, dass solche Lernende meist nicht darauf verzichten wollen. Ob unsere Grammatikangebote ihren Erwartungen und Lernbedürfnissen entsprechen, ist allerdings eine andere Frage.

Hauptsächliches ‚Opfer‘ des hier vorgenommenen Perspektivenwechsels ist die Vorstellung, Grammatikunterricht diene der Automatisierung von Regeln in der Produktion. Diese Vorstellung ist nicht zu halten. Automatisierung ist in zentralen Bereichen der Grammatik nicht willkürlich machbar, sie ist Frucht der Praxis, nicht didaktischer Eingriffe.

In der Gemeinschaft der FremdsprachexpertInnen ist dies (‚irgendwie‘) klar, und es gibt kaum Fachleute, die noch ernsthaft ein Automatisierungskonzept im Sinne der audiolingualen Lerntheorie vertreten. Trotzdem ist es keine Spiegelfechterei, dagegen mit einiger Vehemenz anzugehen. Wesentliche Bereiche der Grammatikdidaktik sind immer noch so angelegt, wie wenn es tatsächlich um dieses Ziel ginge. Das stillschweigende Einverständnis, dass man das nicht ganz so ernst zu nehmen habe, mag entlastend wirken – aber es befördert keine Neuorientierung, sondern lässt den Kanon der hergebrachten Verfahrensweisen intakt. Diese decken aber, so die Grundaussage dieses Beitrags, nur einen Teil dessen ab, was Lernende brauchen, und lassen für das Lernen relevante Aspekte an Grammatik nicht deutlich genug sichtbar und thematisierbar werden. ‚Bedeutung‘, ‚Aufmerksamkeit‘ und ‚Wissen über Sprache‘ als explizite Leitbegriffe der Grammatikdidaktik signalisieren nicht nur einen Wandel in der Art, wie der Vorgang des Sprachlernens begriffen wird, sondern eröffnen auch neue Horizonte für das Nachdenken über angemessene Verfahren des Grammatikunterrichts.

 

Literatur

Anderson, John R. (1983) The architecture of cognition. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.

Diehl, Erika et al. (2000) Grammatikunterricht – alles für der Katz? Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb Deutsch. Tübingen: Niemeyer.

Doughty, Catherin; Jessica Williams (Hg.) (1998) Focus on form in classroom second language acquisition. Cambridge: University Press.

Ellis, Rod (1997) SLA research and language teaching. Oxford: University Press.

Funk, Hermann; Michael König (1991) Grammatik lehren und lernen. Fernstudieneinheit 1. Berlin: Langenscheidt.

Gerngroß, Günter; Wilfried Krenn; Herbert Puchta (1999) Grammatik kreativ. Berlin: Langenscheidt.

Hulstijn, Jan H.; Richard Smith (Hg.) (1994) Consciousness in second language learning. AILA Review 11.

Hulstijn, Jan H.; Rick de Graaf (1994) Under what condition does explicit knowledge of a second language facilitate the acquisition of implicit knowledge? A research proposal. In: J.H. Hulstijn; R. Schmidt (Hg.) (1994), 97-112.

Johnson, Keith (1994) Teaching declarative and procedural knowledge. In: Martin Bygate; Alan Tonkyn; Eddie Williams (Hg.) Grammar and the language teacher. London: Prentice Hall, 121-131.

Klein, Wolfgang (1984) Zweitspracherwerb. Franfurt/M: Athenäum.

Knobloch, Clemens (in Vorb.) Das Ende als Anfang: Kommunikation in der Linguistik. In: Angelika Linke; Hanspeter Ortner; Paul R. Portmann-Tselikas (Hg.) Sprache und mehr. Tübingen: Niemeyer.

McLaughlin, Barry (1987) Theories of second-language learning. London: Edward Arnold.

Newby, David (1999) Grammar for communication. Wien: Österreichischer Bundesverlag

Newby, David (2002) A cognitive-communicative theory of pedagogical grammar. Universität Graz: Habilitationsschrift (Manuskript).

Pienemann, Manfred (1999) Language processing and second language development. Processability theory. Amsterdam: John Benjamins.

Portmann-Tselikas, Paul R. (1999) Die Missachtung des Sprachwissens. Überlegungen zum Diskurs über den Grammatikunterricht. In: Renate Freudenberg-Findeisen (Hg.) Ausdrucksgrammatik vs. Inhaltsgrammatik. München: Iudicium, 337-353.

Portmann-Tselikas, Paul R. (2001) Sprachaufmerksamkeit und Grammatiklernen. In: Paul R. Portmann-Tselikas; Sabine Schmölzer-Eibinger (Hg.) Grammatik und Sprachaufmerksamkeit. Innsbruck: StudienVerlag, 9-48.

Portmann-Tselikas, Paul R. (2002) Über Grammatikerwerb sprechen. Ein Vorschlag zur Präsentation und Erläuterung von Fragestellungen der Lernersprachforschung. In: Hans Barkowski; Renater Faistauer (Hg.) ... in Sachen Deutsch als Fremdsprache. Hohengehren: Schneider Verlag, 319-339.

Radtke, Petra (1998) Die Kategorien des deutschen Verbs. Zur Semantik grammatischer Kategorien. Tübingen: Narr.

Scheerer, Eckart (1991) Konnektionismus und Symbolverarbeitung. Zeitschrift für Psychologie, Suppl. 11, 25-44.

Schmidt, Richard (Hg.) (1995) Attention and awareness in foreign language learning. University of Hawai’i at Manoa: Second Language Teaching and Curriculum Center.

Sharwood Smith, Michael (1993): Input enhancement in instructed second language acquisition. In: SSLA 15/2, 147-163.

Swain, Merrill (1985) Communicative competence: some roles of comprehensible input and comprehensible output in its development. In: S. Gass; C. Madden (Hg.) Input in second language acquisition. Rowley, Mass.: Newbury House, 235-253.

Swain, Merrill (1998) Focus on form through conscious reflection. In: C. Doughty; J. Williams (Hg.) (1998), 64-81.

Van Patten, B. (1994) Evaluating the role of consciousness in second language acquisition: terms, linguistic features and research methodology. In: J.H. Hulstijn; R. Schmidt (Hg.) (1994), 27-36.

Wißner-Kurzawa, Elke (1995) Grammatikübungen. In: Karl-Richard Bausch; Herbert Christ; Hans-Jürgen Krumm (Hg.) Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3. Auflage. Tübingen: Francke, 232-235.

Wode, Henning (1993) Psycholinguistik. München: Hueber.

 

Biographische Angaben

Paul R. Portmann-Tselikas. Studium an der Universität Zürich, dort auch Assistent, dann zehn Jahre lang Lektor für Deutsch als Fremdsprache an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Habilitation zum Thema Schreiben und Fremdsprachenerwerb. Dozent für Mutter- und Zweitsprachdidaktik an der Universität Zürich. Seit 1995 Professor für germanistische Linguistik und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Graz. Schwerpunkte der Arbeit: Fragen des Spracherwerbs und der Sprachdidaktik sowie Textlinguistik, Schreibforschung und Schreibdidaktik.

 



[1] Dies bedeutet nicht, dass die entsprechenden Markierungen korrekt vorgenommen werden. Meist werden einzelne Formen übergeneralisiert angewendet. Gerade im Deutschen ist die korrekte Verwendung des Plurals etwas, das sich bei vielen Lernenden erst spät herausbildet. Zu diesen Fragen s. auch Diehl et al. (2000).

[2] Pienemann (1999: 308ff.) spricht hier von ‚entrenchment, für Anderson (1983) ist der Prozess prozeduraler Anpassung und des ‚fine tuning eine der späten, aber entscheidenden Phasen der Prozeduralisierung. Der deutlich systemische Charakter der Automatisierung (der die Auffassung, dass Einzelregeln isoliert voneinander eingeprägt und automatisiert werden können, als zu einfach erscheinen lässt) wird deutlich etwa

·      in Bezug etwa auf Adjektivendungen. Hier ist sie abhängig von der vorgängigen Erreichung von Sicherheit hinsichtlich der korrekten Identifikation von Genus, Numerus und Kasus des Bezugsnomens sowie der Markierung des Artikeln als schwach bzw. stark. Ohne diese Voraussetzungen ist an Automatisierung nicht zu denken.

·      Grammatisch gesehen sind die Phänomene a) Zweitstellung des finiten Verbs im Aussagesatz, b) Endstellung infiniter Verbteile, c) Inversion des Subjekts bei Erststellung eines anderen Satzglieds, d) Endstellung des finiten Verbs im eingeleiteten Nebensatz allesamt Ausdruck eines einzigen zugrundeliegenden Prinzips. Sie werden sukzessive erworben, meist in dieser Reihenfolge. Durchgängige Sicherheit im Gebrauch ist erst dann zu erwarten, wenn dieses ganze ‚Paket‘ erworben ist und das zugrundeliegende Prinzip – intuitiv natürlich, nicht bewusst – ‚erkannt‘ ist (dazu Pienemann 1999: 118ff.).

[3] Johnson (1994) versucht, das Automatisierungskonzept durch eine Neuformulierung der lerntheoretischen Grundlagen zu retten – meines Erachtens ohne Erfolg (s. Portmann-Tselikas 1999: 343f.). Beiträge wie die von Funk & König (1991) oder Wißner-Kurzawa (1995) berufen sich nicht oder nur am Rande auf Automatisierung. Im Subtext ist das Konzept aber durchaus präsent. Sichtbar ist dies daran, dass es kaum Hinweise gibt, die auf eine alternative Sicht des Grammatikunterricht hindeuten.

[4] Ich nehme an, dass die meisten dieser Studierenden zusammengesetzte Nomina im Kontext mehr oder weniger korrekt verstehen könnten. In diesem Falle gab es keine solche Hilfestellung, die Wörter mussten ,aus sich heraus interpretiert werden. Dies ist eine höhere Anforderung, die reifere sprachliche Kompetenz voraussetzt.

[5] Begriffe erlauben (im guten Fall) über diese kognitive Funktion der Stabilisierung von Wissen hinaus bessere Kommunikation in der Klasse und größere Autonomie der Lernenden im Umgang mit Hilfsmitteln (Wörterbücher, Grammatiken).

[6] Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass es eine natürliche Reihenfolge des Erwerbs von grammatischen Strukturen und Formen gibt, wird hie und da die Forderung erhoben, die grammatische Progression müsse sich dem anpassen. Ich halte dies für keine unvernünftige Forderung. Allerdings gilt es hier einige wichtige Punkte zu berücksichtigen: 1) Es gibt grammatische Erscheinungen, über die zu informieren ist, bevor die Chance besteht, dass sie erworben werden. Adjektivendungen sind so ein Fall, oder die Verbstellung in Nebensätzen etc. Sie fallen (zumindest im schriftlichen Material) auf und provozieren Fragen. Ich sehe keinen Grund dafür, hier nicht zu informieren und zu zeigen, dass sie Informationen anbieten, die man ausnützen kann. 2) Wissen über Sprache ist auch dann, wenn es möglich wäre, es ,just in time zu präsentieren, potenziell weit über den Zeitpunkt des ersten Erwerbs und einer beginnenden Automatisierung hinaus wichtig. Vgl. das am Ende von Abschnitt 2 Gesagte und 3.2.

[7] Dass er sein deklariertes Ziel nicht erreicht, bedeutet ja nicht, dass er nicht andere positive Wirkungen haben kann.

[8] Vgl. Portmann-Tselikas (1999, 2001). Ich bin überzeugt, dass die zwei oder drei Beispiele, die normalerweise zur Einführung angeboten werden, bei weitem nicht ausreichen, um den Lernenden ein verständliches, facettenreiches und vor allem stabiles Bild des jeweiligen grammatischen Phänomens zu vermitteln. Dazu reicht auch die induktive Regelformulierung, die oft am Beginn der Auseinandersetzung steht, nicht aus, vor allem da sie meist allein auf die Benennung der formalen Eigenschaften einer Konstruktion ausgerichtet ist und das Verständnis ihrer semantischen Leistung vorausgesetzt bzw. nur am Rande angesprochen wird. Auch einige Minimalpaare wie in den eingangs erwähnten Sequenzen reichen nicht aus. Sie sind nur ein Element in einer Strategie, die weiter ausgreifen muss. Vgl. Punkt 4.

[9] Noch einmal: Ich glaube nicht, dass die entsprechenden Regularitäten durch solche Übungen gelernt oder gar gebrauchsreif eingeprägt werden. Diese Übungen sind Mittel, um Aufmerksamkeit und Sensibilität zu erzeugen. Überdies liefern die Übungsbeispiele simple, brauchbare Formulierungen für die Kommunikation.

[10] Trotzdem können produktive Übungen lernrelevante Funktionen erfüllen, das möchte ich nicht abstreiten. Die Frage, welchen Stellenwert sie haben sollen, müsste neu als Problem formuliert und untersucht werden. Wie wichtig bewusste Sprachproduktion ist – allerdings im Rahmen der Bemühung, Gedanken auszudrücken und kommunizierbar zu machen –, betont Swain (1985, 1998).

[11] Grundlage für diese Behauptung sind Überlegungen über die Konsequenzen des Schriftspracherwerbs und der schulischen Ausbildung. Vgl. Scheerer (1991), Knobloch (in Vorb.).