Film als Projekt im DaF-Unterricht am Beispiel von Die Mörder sind unter uns von Wolfgang Staudte (1945)

 

Martina Moeller, Aix-en-Provence

 

Mit der folgenden Projektbeschreibung möchte ich einen Beitrag zur effektiveren Integration von Filmen in den DaF-Unterricht leisten. Im Anschluss an einen kurzen Überblick zur Zielsetzung und  Problematik von Film im fremdsprachlichen Deutschunterricht werden im Wesentlichen zwei Fragestellungen verfolgt: 1. Wie und mit welchen Lernzielen kann Wolfgang Staudtes Werk Die Mörder sind unter uns als herausragendes Beispiel des bisher im DaF-Unterricht grob vernachlässigten Genres „Trümmerfilm“ überzeugend in den Fremdsprachenunterricht integriert werden? 2. Welche Aspekte des gleichnamigen Film-Projekts, das mit internationalen Studierenden an der International Summer University der Universität Kassel durchgeführt wurde, sind für diesen Zweck nutzbar zu machen?

 

1. Einführung

Obgleich an fast allen Sprachenzentren deutscher Universitäten und an privaten Sprachschulen Filmvorführungen oder –reihen ausgeschrieben sind, werden Filme oftmals noch ohne gezielte Didaktisierung im DaF-Unterricht eingesetzt. Auf welche Art und Weise können jedoch Filme didaktisch sinnvoll in den Unterrichtsablauf integriert werden, und wie sollte hierbei auf die spezifischen Eigenschaften des Mediums eingegangen werden? Der Filmtheoretiker Christian Metz äußerte in seinem Werk Cinema and Language (Metz 1973: 100), dass Filme in vieler Hinsicht vom Zuschauer automatisch verstanden werden. Doch wie erfolgt dieses Verstehen und welche Art des Verstehens ist hiermit gemeint? Sprachwissenschaftlich orientierte Ansätze wie der von Hartmut Bitomsky (Bitomsky 1972) gehen z.B. von einer Vielzahl genutzter Codes aus, die sich aus der Vielfalt des cinematographischen Ausdrucksmaterials ergibt: bewegtes Bild, Schrift, Geräusche, Musik, und Verbalsprache. Aktuellere Ansätze wie der des neoformalistischen Filmwissenschaftlers David Bordwell (Bordwell; Thompson 20047th: 48) sprechen davon, dass die Verstehensleistung des Zuschauers durch die gesamte filmische Form und die in ihr enthaltenen Hinweise erfolgt. Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass Zuschauer Filme nicht nur durch Bilder oder Sprache entschlüsseln, sondern die gesamte, spezifisch-mediale Form des Films für die Verstehensleitung nutzen.

Die Integration von Filmen in den fremdsprachlichen Unterricht zielt oftmals auf die authentische Vermittlung landeskundlicher und sprachlicher Kenntnisse ab. Nun bestimmen aber kulturelle und vor allem sprachliche Unterschiede das Verständnis eines Films in besonderer Weise. Sieht z.B. ein westeuropäischer Zuschauer den Film Moonson Wedding von Mira Nair, so wird er aufgrund seiner kulturellen Sozialisation zwar den Film und seine Handlung auf einer oberflächlichen Ebene verstehen, jedoch bleiben ihm – schon durch die Synchronisation – Verweise auf zentrale Traditionen, Gebräuche, berühmte Schauspieler usw. verborgen. Ebenso unterliegt auch die Filmrezeption von DaF-Lernern aufgrund solcher kultureller Distanz Schwierigkeiten: Spezifische sprachliche und landeskundliche Hinweise auf aktuelle oder politische Themen bleiben unerkannt, was zu Frustration und Demotivation der Lernenden führen kann.

Vor dem Hintergrund der hier geschilderten Rezeptionsprobleme wird deutlich, wie sehr das Verstehen der „neuen Kultur“ durch die im Filme vorgebenen Hinweise mit einer den Verstehens- und Sprachlernprozess unterstützenden Vorentlastung durch den Kursleiter verknüpft ist. Seine Aufgabe ist es, die entsprechenden sprachlichen und landeskundlichen Informationen durch eine spezifische Didaktisierung bereitzustellen. Erfolgt all dies, so kann der Einsatz von Filmen den Unterricht erheblich bereichern.[1] Die meisten Filme enthalten ja bekanntlich Unmengen bildlicher Hinweise, die dem Lerner das Verständnis von neuem Wortschatz erleichtern können. Außerdem besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, deutsche Untertitel hinzuzufügen, sodass sowohl gesprochene und geschriebene Sprache parallel rezipiert werden kann.

Einen Film als Projekt in den Unterricht zu integrieren, verlangt also eine Auseinandersetzung mit seinen medialen, landeskundlichen und sprachlichen Komponenten. Von Seiten der Lerner sind hierfür mittlere Sprachkenntnisse erforderlich. Deshalb ist die Projektarbeit mit handelsüblichen Spielfilmen besonders ab den Stufen A2 und B1 nach dem europäischen Referenzrahmen zu empfehlen. Ein Filmprojekt will vor allem die Autonomie der Lernenden unterstützen und zum eigenen Sprachhandeln bewegen. Exemplarisch für eine gelungenes Filmprojekt beschreibe ich das am Sprachenzentrum der Universität Kassel durchgeführte Projekt Die Mörder sind unter uns von Wolfgang Staudte (1946). Ausgehend davon, dass ein solches Projekt tiefgreifende Kenntnisse zum Film und seinem historischen Kontext erfordert, beginne ich zuerst mit einer umfassenden Analyse der tragenden medialen und landeskundlichen Filmelemente und gehe dann zur Projektpräsentation und -analyse über. Ziel meiner Ausführungen ist, zu zeigen, warum und wie gerade durch diesen Trümmerfilm ein weiterführendes Verständnis der deutschen Geschichte und Gegenwart vermittelt wird. Staudtes Werk verbindet die wichtigsten Themen der NS- und Nachkriegszeit, wie ich entgegen der allgemein negativen Beurteilung des Films zeigen möchte, auf kritisch-kontroverse und diskussionsanregende Weise, wodurch die Lerner authentische Einblicke in Zeitabschnitte erhalten, die das öffentliche und private Leben in Deutschland maßgebend prägten und bis in die Gegenwart beeinflussen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass der Film wichtige Fragen zu den NS-Verbrechen stellt, welche die Lerner durch die Projektarbeit beantworten müssen.

 

2. Die Mörder sind unter uns

2.1. Zum Entstehungskontext

Die Mörder sind unter uns kann als einer der wichtigsten und eindrücklichsten deutschen Nachkriegs- und Trümmerfilme angesehen werden. Vor der Kulisse des zerstörten Berlin inszeniert Staudte eine dramatische Geschichte um Schuld und Verantwortung für die NS-Verbrechen und stellt die Frage, wie man nach dieser Katastrophe weiterleben kann und soll.

Der schwarzweiss gedrehte Film knüpft ästhetisch an den Expressionismus der 20er Jahre, den Film Noir der 40er Jahre und den italienischen Neorealismus an und verbindet somit vorherrschende visuelle Stile vor und nach der NS-Zeit.

Mit dieser Einschätzung wird hier jene kollektive Diskreditierung der Gattung Trümmerfilme als „vertane Chance“ oder gar als „Mißgeburt“ (Brandlmeier 1989: 35-36) des deutschen Films ausdrücklich zurückgewiesen. Zwar kann vielen Filmen des Genres durchaus ein Mangel an Tiefgang in der Auseinandersetzung mit den Trümmern der damaligen Vergangenheit und Gegenwart nachgewiesen werden, und Brandelmeiers Vergleich zwischen dem Genre des Trümmerfilms und dem des italienischen Neorealismus’ ist nicht unzutreffend:

„Wo man in Italien an sozialer Veränderung interessiert ist, erfolgt hierzulande eine Rückbesinnung auf alte Werte, wo das emblematische Bild des Neorealismus auf Gegenwärtiges verweist, weisen die symbolischen Bilder des Trümmerfilms auf Tiefliegendes, Verborgenes, Verschüttetes, Vergangenes. Die Helden des Trümmerfilms erscheinen als Novus Faustus: Grübler und Städtebauer zugleich“ (Brandlmeier 1989: 35).

 

Aber gerade die benannten Kritikpunkte sind für die Arbeit mit Schülern und Studenten im zeitgenössischen DaF-Unterricht auch besonders interessant. Denn im Fall von Die Mörder sind unter uns liegt ein Zeitzeugnis vor, das im Sinne eines neuen Fausts tiefe Einblicke in die Seelenlage der Deutschen zu einer existenziellen Zeit deutscher Geschichte erlaubt. Die mitunter allzu stereotypen Darstellungen und Widersprüche der Figuren bieten ausreichend Stoff zu Diskussionen, da sie zahlreiche Fragen und Kontroversen offen legen. Demgegenüber ist Gregors und Patalas‘ generalisierende Interpretation des Trümmerfilms als ein Gesamtwerk, das den Nationalsozialismus als „höheres Schicksal, ein brauner Spuk, ein bedauerlicher Betriebsunfall der deutschen Geschichte“ (Kersten 1977: 12-13) darstellt, auf der Grundlage von Staudtes Film relativ leicht zu widerlegen. Der am Beispiel der Figur Brückner reflektierte unkritische „Aufbaupathos“ der Nachkriegszeit, der einer solchen Interpretation des Nationalsozialismus entsprechen würde, erfährt nicht nur durch Figuren wie Mertens und Susanne zentrale Kritik, sondern auch durch die Rückblenden. Denn hier wird ein ähnlich pathetischer aber vollständig gewissenloser Brückner der Kriegszeit gezeigt, dessen Haltung des bewussten Ignorierens und Ausblendens menschlicher Probleme unmittelbar mit den nationalsozialistischen Kriegsverbrechen verbunden ist.

Staudte beginnt mit der Arbeit am Stoff des ersten deutschen DEFA-Nachkriegsfilms schon in den letzten Kriegstagen. Die Idee entsteht durch eine persönliche Begegnung mit einem betrunkenen SS-Mann, der Staudte aggressiv bedroht. Hieraus entwickelt Staudte folgende Fragen, wie eigentlich Gegner, Unterstützer und Mitläufer des NS-Regimes nach Kriegsende miteinander weiterleben sollen und welche Schlussfolgerungen der Einzelne aus den Kriegsverbrechen zieht. Staudtes Darstellung der Verdrängung politischer Verantwortung und des Rückzugs in die Privatsphäre als Antwort auf die NS-Zeit ist zweifelsohne als substantielle Kritik am Verhalten der deutschen Bevölkerung zu interpretieren. Nun ist aber seine eigene Anpassung an die NS-Verhältnisse nicht unproblematisch:

„Die Tatsache meiner Existenz, meines Überlebens war Verpflichtung, und ich hatte so etwas wie ein Schuldgefühl, das ich eigentlich heute noch habe und das mich auch heute noch beschäftigt“ (Wilkening 1966: 115).

 

In der Tat konnte auch Staudte „in der Filmindustrie des Dritten Reichs nicht ohne ein Minimum an Mitläuferschaft überleben“ (Brandlmeier 1989: 36), und in Jud Süss wirkt er gar als Schauspieler (Brandlmeier 1989: 40) mit. Die Mörder sind unter uns ist das erste filmische Zeugnis des Wandels von Staudtes persönlichem und künstlerischem Anspruch, zur „Enttrümmerung der Gehirne“ (Kersten 1977: 9) nach Kriegsende beizutragen. Seine wiederholte Warnung vor dem „Irrweg der Nation“ (Kersten 1977: 9) führt jedoch schnell zu Problemen, und nach Kriegsende bekommt Staudte nur bei der DEFA ein Produktionsangebot für Die Mörder sind unter uns. Im aufblühenden Wirtschaftswunder erfährt er, „wie schwer es ist, die Welt verbessern zu wollen mit dem Geld von Leuten, die die Welt in Ordnung finden“ (Kersten 1977: 9). Auch die Besucherzahlen der Kinos in den Nachkriegsjahren verdeutlichen eine Abwendung der breiten Massen von zeitgenössischen Problemen und Darstellungen. Die Mörder sind unter uns wird zwar noch von ca. fünf Millionen Besuchern gesehen. Jedoch besonders nach der Währungsreform von 1948 setzt sich ein tiefgehendes Desinteresse an den Problemen der jüngsten Vergangenheit durch (Kersten 1977: 18).

2.2. Weiterleben mit der Vergangenheit als zentrales Motiv

Gleich zu Beginn des Films muss die Protagonistin Susanne Wallner, eine junge Fotografin, die 1945 aus dem Konzentrationslager in das zerstörte Berlin zurückkehrt, feststellen, dass ihre Wohnung von einem durch Kriegserlebnisse traumatisierten Ex-Chirugen, Dr. Mertens, belegt ist. Die beiden beschließen, die Wohnung zu teilen, und Susanne entwickelt schließlich auch Liebesgefühle für den lebensunfähigen Kriegsheimkehrer. Eines Tages findet sie den Abschiedsbrief seines ehemaligen Vorgesetzten, des Hauptmann Brückner, an dessen Ehefrau. Aus Pflichtgefühl überbringt sie den Brief an Frau Brückner, deren Ehemann den Krieg jedoch nicht nur überlebt hat, sondern es auch bestens versteht, die Nachkriegszeit für den Aufbau einer gut florierenden Fabrik zu nutzen. Sein Haus ist gut eingerichtet, seine Fabrik produziert aus Stahlhelmen Kochtöpfe und Brückner selbst sagt: „Es ist egal, was man macht, nur zurecht kommen muss man.“ Positiv und optimistisch gestaltet er sein Leben, und die Vergangenheit - den Krieg – verklärt er romantisierend. Seine eigene Rolle als Hauptmann bleibt unreflektiert, denn sein Handeln ist auf den eigenen Wohlstand ausgerichtet.

Kontrastiv hierzu erleidet Mertens, der sich in einer Klinik als Arzt vorstellt, einen Zusammenbruch aufgrund eines Kriegserlebnisses. Das Problem ist Brückners Exekutionsbefehl zur Ermordung polnischer Zivilisten. Mertens fühlt sich schuldig am Tod der Zivilisten, die Brückner als Denkzettel für einen undefinierten Schuss am Weihnachtsabend hinrichten ließ. Ebenso gut gelaunt, wie Brückner nach dem Krieg aktiv sein Leben gestaltet, erscheint er in dieser Rückblende bei den Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier mit den Soldatenkameraden. Dass er vorher noch Menschen aus nichtigem Grund hat töten lassen, betrachtet er kaltschnäuzig als Teil seiner Pflicht. Empathisches Mitgefühl für die Situation anderer kommt hierbei nicht auf. Es wird deutlich, dass Mertens sich gerade aufgrund dieses Erlebnisses nicht mehr im bürgerlichen Alltag zurechtfindet. Durch Susannes Kontakt zu Brückner kommt es schließlich zur Begegnung von Mertens mit seinem ehemaligen Vorgesetzen in der Nachkriegszeit, wobei Mertens von Brückners Lebensstil zunehmend irritiert wird, denn der scheint losgekoppelt von den Kriegserlebnissen und frei von Schuldgefühlen nur an den Aufbau einer glücklichen und erfolgreichen Zukunft zu denken. Zur Vergeltung der Kriegstat beschließt Mertens den verhassten Vorgesetzten zu töten, was jedoch in letzter Minute durch Susanne verhindert wird, die den Ex-Chirugen davon überzeugt, dass Selbstjustiz keine Lösung ist.

Vor der Kulisse der zerstörten Stadt Berlin inszeniert, verbindet Staudtes Visualisierung verschiedene künstlerisch stilisierte Elemente und Genres: Schon zu Filmbeginn verweisen die schrägen Kameraeinstellungen auf den Expressionismus der 20er Jahre und den Film Noir der 40er Jahre. Diese Mischung begründet das Genres des Trümmerfilms. Die Darstellung der Trümmer, aber auch der Wiederaufbau sind das Hauptmotiv und zugleich eine Metapher für das Innenleben der Protagonisten. Schon die ersten Bilder in der Detaileinstellung zeigt uns Trümmer vor Häuserruinen, die durch Kreuz und Stahlhelm als Grab toter Soldaten erkennbar sind. Hierzu ist aus dem „Off“ schnelle, fröhliche Musik zu hören, die das Gesehene kontrahiert und somit eine emotionale Distanz zu den Bildern schafft. Von den am Boden liegenden Häuserresten fährt die Kamera aus der Froschperspektive in eine vogelperspektivische Totale und zeigt uns den hoffnungslos desorientierten Mertens. Er kommt zwar auf die Kamera zu, bis er in einer Halbnahaufnahme zu sehen ist, jedoch dreht er gerade in diesem Moment den Kopf nach hinten, als der Zuschauer ihn genauer betrachten könnte, und er geht dann sich rückwendend auf eine Vergnügungsbar zu. Diese Rückwendung symbolisiert Mertens engen Bezug zur Vergangenheit. Zwar ist er aus dem Krieg scheinbar körperlich unverwundet zurückgekommen, aber seine seelischen Verwundungen erlauben keine Entwicklung. Die äußeren Trümmer korrespondieren mit Mertens innerlicher, seelischer Verwüstung, die auch durch sein ungepflegtes Äußeres angedeutet wird.

2.3. Zur Figurenanalyse

Mertens wird in der Exposition des Films wie ein Krimineller inszeniert. Aus der Vogelperspektive gefilmt, erscheint er mysteriös und unheimlich. Dieser Eindruck wird durch die über Mertens flüsternden Nachbarn im geheimnisvoll schwarzweiss-beleuchteten Treppenhaus verstärkt. Auch Mertens‘ dunkle oder halbdunkle Ausleuchtung beschreibt ihn als „suspekt und nicht vertrauenswürdig“ (Hoffmann 1989: 14), was Parallelen zur Darstellung der Protagonisten im Film Noir aufzeigt und auf die Rückkehr der verdrängten Vergangenheit hinweist. Im Gegensatz zu der Figur Brückner wird Mertens nicht stereotyp inszeniert. Wenn auch nur zaghaft, so versucht er sich immerhin Brückners Exekutionsbefehl zu widersetzen und ihn von seinem grausamen Vorhaben abzubringen. Mertens‘ Empathie mit den Opfern und sein Engagement gegen ihr sinnloses Sterben lässt ihn menschlich erscheinen, obgleich er als Soldat der Wehrmacht ebenso ein Täter ist.

Kontrastiv zu Mertens wird Susanne eingeführt. Aus einer Froschperspektive in der Totale sehen wir einen nach Berlin fahrenden Zug, der so sehr überfüllt ist, dass die Menschen, offensichtlich Flüchtlinge und Heimkehrer, auch auf den äußeren Trittbrettern des Zuges stehen. Untermalt werden diese Bilder mit tiefer, dramatisch-bedrohlicher Musik aus dem „Off“. Während der Einfahrt in den Bahnhof - durch einen Wechsel zur Vogelsperspektive - erscheint das zerstörte Berlin aus dem Blickwinkel der auf dem Zug stehenden Menschen. Unter den Aussteigenden befindet sich auch Susanne, die in der Mitte des Bildes in einer Halbnah- und später Nahaufnahme zu sehen ist. Durch ihren hellen Mantel und ihr hell ausgeleuchtetes Gesicht sticht sie unter den anderen hervor. Verwirrt und ungläubig betrachtet sie ihre Umgebung. Mit ihrem Auftreten ertönt aus dem „Off“ sanfte Geigenmusik. Susanne wird durch die lichtbedingte Hervorhebung und sanfte Musik als rettender Engel, als Hoffnungsträger in der verwirrten Situation eingeführt. Ihr katalysatorisches Handeln und Wirken erfährt in dieser Einstellung eine Vorwegnahme, die durch ihre spätere Rolle im Film bestätigt wird. Diese gegenläufige Konstellation, der kriegstraumatisierte und alltagsunfähige Kriegsheimkehrer und die aktive, selbständige, jedoch hingabenvoll auf das Wohl des Mannes konzentrierte Frau, ist relativ typisch für den deutschen Trümmerfilm. Heinz Kerstens schreibt hierzu: „Mertens‘ Rückkehr ins Leben ist nicht denkbar ohne die Hilfe der KZ-Heimkehrerin Susanne Wallner. In viel später entstandenen DDR-Kino- und Fernsehfilmen wird eine solche Katalysatorenrolle für einen Bewußtseinsprozeß dann meist von überzeugten Kommunisten übernommen.“[2]

Als Gegensatz zu Mertens‘ melancholischer Einstellung fungiert auch die Figur des älteren Herrn Mondschein, der im Erdgeschoss des Hauses einen Laden betreibt und für Susanne und Mertens einen väterlichen Freund darstellt. Obgleich Mondschein ebenfalls Kummer erleidet - er bangt um das ungeklärte Schicksal seines Sohnes, der noch nicht aus dem Krieg zurückkehrte, verkörpert er ungebrochenen Zukunftsglauben und Optimismus. Er und Susanne entsprechen einander. In der Komposition der Filmhandlung verkörpern beide Lebensmut und Aufbauwillen, trotz ihrer „schwierigen“ Vergangenheit. Hierin spiegelt sich das zentrale Anliegen der Trümmerfilme, die „sich mit den Erscheinungsformen der faschistischen Diktatur wie auch mit den Lebensbedinungen der Nachkriegszeit  auseinandersetzen, ohne zu einem Begreifen der Zusammenhänge durchzudringen und die Politik, die Deutschland zerstört hat, anders denn als geschichtsloses Verhängnis zu sehen“ (Hoffmann 1989: 14).

Entgegen der Aussage dieses Zitats symbolisiert Brückner die Unfähigkeit vieler sich mit ihrer NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Gemeint ist hiermit vor allem die fehlende Einsicht in die eigene Schuld an den NS-Verbrechen oder Teilhabe an der Aufrechterhaltung des NS-Regimes. Die Prozesse der „kollektiven Verleugnung“ und „Unfähigkeit zu trauern“ wurde von Margarete und Alexander Mitscherlich (Mitscherlich 19739: 8ff) eingehend dargelegt und verbinden sich in Brückners Figur mit dem, was Hilmar Hoffmann als „durch Verdrängung und Vergessen erkaufte Selbstzufriedenheit, aufdringliche Biederkeit und geistige Ersatzkonstruktion aus einer jeder kritischen Prüfung entzogenen Tradition“ (Hoffmann 1989: 9) bezeichnet:

„Sie füllten bald nach Gründung der Bundesrepublik das seelische Vakuum der Deutschen aus; sie wurden zu Wesensmerkmalen der Nachkriegskultur und ganz besonders der in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren produzierten westdeutschen Filme“ (Hoffmann 1989: 9).

 

Trotz allem erlaubt der Film auch Mitgefühl mit der Figur Brückner. Sein Optimismus und seine Leichtigkeit geben ihm eine Aura der Unzurechnungsfähigkeit. Er erscheint als Naiver, der sich Veränderungen entsprechend schnell anzupassen weiss. Sein Unverständnis gegenüber Mertens' Anklage und Forderung nach Rechenschaft am Ende des Films macht deutlich, wie wenig Brückner sich als Täter begreift. Während er hinter Schatten zu sehen ist, die Gitterstäbe andeuten, ruft er verständnislos: „Da war doch Krieg. Da waren doch ganz andere Verhältnisse. Jetzt ist doch Frieden. Friedensweihnachten. Meine Kinder, meine Frau, was haben denn die damit zu tun? Ich bin doch unschuldig.“ In dieser Hinsicht kritisiert die Inszenierung der Figur Brückner zutiefst die Mentalität vieler Deutschen nach dem Krieg. Gregor und Patalas sprechen in der Geschichte des deutschen Film davon, dass die breite Bevölkerung „statt der Einsicht in politisches Versagen und individuelle Schuld“ (Gregor; Patalas 1976) dem Vergeben und Vergessen Vorrang gaben. Die im Film dargestellte Verantwortungsflucht, also die fehlende Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Trümmern der NS-Zeit, kam vielleicht für viele zu früh und ist meines Erachtens einer der Hauptgründe für die Ablehnung von Staudtes Film.

Des Weiteren beschäftigte die Schuldfrage schon die zeitgenössische Filmkritik, und hier wurde insbesondere moniert, dass „die Bestrafung des Mörders Brückner im Symbolischen […] versank“ (Schnurre 1946). Darüber hinaus erscheint auch Mertens der Mitläuferschaft schuldig – seine Bestrafung wirkt jedoch aufgrund seiner Schuldgefühle weniger dringlich. Wirft dies nicht die Frage auf, ob vor der Bestrafung nicht ein Verstehen und Bearbeiten der Vergangenheit erfolgen sollte? Thomas Brandlmeier verweist darauf, dass dies keinesfalls auf der Linie der Politik der Alliierten lag (Brandlmeier 1989: 40), denn deren Ziel war es, die deutsche Bevölkerung als Kollektiv „von ihrer Schuld am Aufstieg des Nationalsozialismus und am Zweiten Weltkrieg mit seinen Folgen zu überzeugen“ (Brandlmeier 1989: 40). Was sicherlich hinsichtlich einer Bewusstmachung der Nazi-Verbrechen und ihrer Folgen auch sinnvoll und wichtig war, aber vielleicht weniger auf einen konstruktiven Umgang mit der Vergangenheit abzielte?

 

3. Projektdurchführung und -evaluation

Das Filmprojekt wurde mit einer DaF-Lerngruppe von 15 Teilnehmern im Rahmen der „International Summer University“ Kassel durchgeführt. Die 18 bis 55 Jahre alten Teilnehmer kamen vorwiegend aus den USA, der französischen Schweiz, Holland, Indien, Israel und Ungarn. Innerhalb des vierwöchigen Kurses wurde das Projekt in 12 Unterrichtseinheiten durchgeführt, wobei die Auswahl des Films in der Gruppe getroffen wurde. Als Lehrkraft stellte ich drei Filme vor, und die Wahl fiel schnell auf Staudtes Film. Das Interesse der Lerner die vom Krieg zerstörte Stadt Berlin in authentischen Bildern zu sehen war hierbei ein wichtiges Argument.

3.1. Vorentlastung

Die ersten drei Phasen der Vorentlastung zielen auf die Einführung eines Basiswissens zur historischen Situation, des benötigten Vokabulars und der filmsprachlichen Mittel ab, um den Lernern das Verständnis und die folgende Analyse des Film zu erleichtern. 1. Vor dem ersten gemeinsamen Sehen erlangen die Lerner durch die Internetrecherche in Anlage I. in Partnerarbeit einen vergleichbaren Wissensstand und können dabei ihr länderspezifisches Vorwissen zu dieser Epoche deutscher Geschichte untereinander austauschen. 2. Zur sprachlichen Vorentlastung wird der neue Wortschatz durch Anlage II in zweier oder dreier Gruppen eingeführt und die Handlung des Films mittels der Kurzbeschreibung sowie des Lückentextes vertieft. 3. In der nächsten Unterrichtseinheit erfolgt eine kurze Einführung in die filmsprachlichen Mittel, die mit der gemeinsamen Analyse der ersten Sequenz gefestigt und geprüft wird. Die erste Sequenz eignet sich dazu in besonderer Weise, da hier viele verschiedene Kameraeinstellungen und -perspektiven verwendet, aber auch zentrale Funktionen der Filmmusik deutlich werden. Auch wird in der Sequenz nicht gesprochen, was den Lernern erlaubt, sich nur auf die Kameraführung und Musik zu konzentrieren.

Um das Interesse und die Aufmerksamkeit der Lerner während der ersten gemeinsamen Filmrezeption zu lenken, wird jeweils eine in Gruppen( drei bis vier Personen pro Gruppe) zu erarbeitende Aufgabe verteilt: Die Analyse einer Filmfigur und die Präsentation der Ergebnisse nach der Filmrezeption. Zur Erleichterung und Strukturierung dieser Aufgabe erhalten die Lerner analysespezifische Fragen (Anlage 3 und Anlage 4) und  Hintergrundinformationen zu der jeweiligen Figur aus Anlage 7. Nachdem die Informationen und Analysehilfen gelesen und verstanden wurden, erfolgt das gemeinsame Sehen des Films. Da aufgrund der schlechten Tonqualität vereinzelt Verständnisprobleme auftauchen, wird der Film an einigen Stellen zur Erläuterung der wichtigsten Informationen unterbrochen und die jeweilige Sequenz wiederholt angeschaut.

3.2. Figurenanalyse als Diskussionseinstieg

Nach dem gemeinsamen Sehen präsentieren die einzelnen Gruppen nach einer ca. 15 minütigen Vorbereitungszeit ihre Analyse der Figuren. Hieraus ergibt sich eine lebhafte Diskussion um Funktion und Glaubwürdigkeit der jeweiligen Figuren. Gerade die stereotypen Frauen- und Männerrollen erweisen sich als vorteilhaft und regen die Kursteilnehmer aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu Meinungsäußerungen an. Eine Holländerin bemerkt, sie könne die Protagonistin gar nicht ansehen, denn diese sich aufopfernde Frau, die alle Fehler des Mannes ertrüge und erleide, sei fürchterlich und unerträglich für sie. Als Kontrast hierzu erzählt eine Inderin, dass es doch völlig normal für eine Frau sei, einen Mann zu unterstützen, wenn dieser in eine Notsituation komme. Für sie stellen die Figuren keinerlei Klischee dar. Mertens' Figur wurde auch von einer Ungarin als „normaler“ Mann bezeichnet: „Er trinkt nur und flüchtet in den Alkohol, statt seine Probleme zu lösen.“ Eine ursprünglich aus Ruanda stammende, aber nun in der französischen Schweiz lebende Studierende kategorisiert Susanne als bewundernswerte Figur. Mit Blick auf die Beziehung ihrer eigenen Eltern meint sie, es sei normal, dass Frauen sich für ihre Männer aufopferten. Für sie selber komme dieses Modell allerdings nicht in Frage. Bezüglich Mertens‘ wird angemerkt, dass er eine Art Anti-Held sei, dessen Darstellung mit der Glorifizierung von Kriegshelden breche. Auch wenn seine Figur nicht als sehr sympathisch empfunden wird, so ist sich die Gruppe einig, dass es wichtig sei, die seelischen Folgen des Kriegs für die Soldaten aufzuzeigen. Weiterhin äußerten sich die Lerner über den visuellen Stil des Films, die Schauspieler und die Musik beeindruckt. Die metaphorische Bedeutung der Ruinen bezüglich der Seelenlage der Darsteller und als Trümmer der Vergangenheit wird in diesem Kontext herausgearbeitet. Es zeigt sich so, dass die kleinen Präsentationen den Einstieg in das Filmgespräch erleichtern und wichtige Zusatzinformationen zum Interpretationshorizont der Lerner aufdecken. Hausaufgabe ist die Anlage 5.

3.3. Brückners Verhandlung – Rollenspiel und Diskussion

In der nächsten Unterrichtseinheit wird ein Rollenspiel zu Brückners Verhandlung mit Hilfe von Anlage 6 vorbereitet. Als Einleitung hierzu werden den Studierenden nochmals folgende Sequenzen gezeigt: 1. Das Gespräch mit Mertens am Familientisch Brückner, bei dem Brückner die Geschichte seines Überlebens und Mertens Rolle hierbei schildert, 2. Mertens und Brückners Auseinandersetzung über die Exekution der Zivilisten am Weihnachtsabend in Polen, und 3. die Endsequenz des Films, in der Brückner seine Unschuld beteuert. Anschließend wird der Wortschatz in Anlage 7 besprochen und die Rollen nach Wunsch der Kursteilnehmer verteilt. Es ergibt sich eine Aufteilung wie folgt: Brückner und seine zwei Anwälte, Mertens und sein Anwalt, der Richter, der Staatsanwalt und die Zeugen Susanne, Frau Brückner und das Publikum. Interessant bei der Rollenverteilung nach eigener Wahl ist, dass zwei jüdische Lerner aus der Gruppe sowohl die Rolle Brückner als auch die seines Anwaltes übernehmen möchten.

Nach einer kurzen Vorbereitungszeit (zehn Minuten) eröffnet der Richter die Verhandlung. Die Figur Brückner wird im Rahmen des Rollenspiels sehr kontrovers diskutiert. In der anschließenden Diskussion gibt ein älterer Lerner aus Israel zu bedenken, dass Brückner sympathisch sei, zumindest viel sympathischer als Mertens, der nur im Alkohol versinke. Er erzählt, dass er als Kind den Eichmannprozess verfolgt habe und die Figur Brückner ihn daran erinnere. Brückner habe nur seine Pflicht getan, sei nur ein Rad im Getriebe gewesen. Weiterhin äußert dieser Lerner, dass Staudtes Film ein Film für die Deutschen sei – sozusagen eine Art Nabelschau der Befindlichkeit nach dem Krieg – denn die Opfer des NS-Regimes kämen nicht wirklich vor. Auch auf die Figur Susanne und ihre Unglaubwürdigkeit als Ex-KZ-Insassin kommen die Teilnehmer in diesem Zusammenhang zu sprechen, wodurch Fragen nach dem Wissen der deutschen Bevölkerung über die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen thematisiert werden. Die Lerner erklären sich Staudtes Missinszenierung durch sein „vielleicht“ – direkt nach Kriegsende - mangelndes Wissen über die wahren Zustände in den KZs. Teilnehmer aus der französischen Schweiz hingegen befinden Brückner als unsympathisch und definitiv schuldig. Mertens bezeichnen sie auch als schuldig und teilweise wenig sympathisch, jedoch leide er wenigstens unter seiner Mitschuld. Hieraus ergibt sich eine längere Diskussion um das Ausmaß der Schuld der Einzelnen und welche Art der Bestrafung angemessen sei. Anschließend wird ausführlich diskutiert, wie sich Mertens in der konkreten Kriegssituation hätte verhalten können oder sollen. Zentral ist hierbei, welche Art des Widerstandes möglich war: Mit welchen möglichen Konsequenzen musste Mertens rechnen und was hätte er noch tun können, um die Exekution zu vermeiden? Abschließend thematisieren die Lerner Fragen nach den Konsequenzen aus der NS-Zeit. Die hierbei angesprochenen Probleme im Umgang mit der NS-Vergangenheit führen die Lerner weg von klischeehaften Simplifizierungen. Denn die kontrastive Zeichnung der Figuren Mertens/Brückner macht deutlich, wie wenig zutreffend und hilfreich kollektive Schuldzuweisungen für die NS-Verbrechen sind und wie sehr Schuld in diesem Zusammenhang aus der jeweiligen persönlichen Situation des Einzelnen ermessen werden muss. Staudtes Fragen nach Verantwortung für und Schlussfolgerungen aus der NS-Zeit werden aus Perspektive der Lerner als kollektive Pflicht des Erinnerns und Verstehens der Vergangenheit im Sinne einer Vorbeugung vor Wiederholung beantwortet. Das Rollenspiel sensibilisiert die Lerner durch die starke Identifikation mit den Figuren und erlaubt eine tiefere Empathie sowie ein weiterführendes Verständnis der Komplexität der NS-Herrschaft, ihrer Folgen und der Nachkriegssituation in Deutschland.

Auch hinsichtlich der Sprachprogression ist die spielerische Weiterführung der Filmsituation sehr erfolgreich: Durch die vorherige Analyse und Auseinandersetzung mit den einzelnen Figuren verfügen die Lerner über einen neuen Wortschatz, den sie jetzt frei anwenden. Weiterhin ermöglicht die spielerische Atmosphäre den Lernern ein fast völliges Vergessen der Lernsituation und führt zu limbischem Sprachhandeln.

 

Resümee

Bezüglich des ganzen Projektes bleibt noch hervorzuheben, dass alle Teilnehmer sich positiv zu der gemeinsamen Projektarbeit äußerten. Hierfür gibt es mehrere von den Teilnehmern vorgebrachte Gründe: Der Film übt durch seine visuelle Form und authentische Darstellung (Ruinen, keine Studioaufnahmen, dramatische Handlung etc.) eine große Faszination aus. Obgleich die langen Einstellungen des Schwarz-Weiss-Films nicht den Sehgewohnheiten der zum größten Teil jungen Lerner entsprechen und auch die Tonqualität aufgrund der Voraussetzungen bei der Filmproduktion zu bemängeln ist, bleibt das Interesse und die aktive Teilnahme an dieser Projektarbeit sehr groß. Die Filmbearbeitung als Projektform und das hieraus resultierende konkrete, aktive  Miteinbeziehen der Lerner in den Projektprozess motivierte die Teilnehmer sehr stark und macht ihnen viel Spaß. Da die Projektarbeit insgesamt zumeist auf Kleingruppenarbeit basiert, interagierten die Lerner viel miteinander, was das autonome Sprachhandeln fördert, die Gruppenhierarchie abschwächt und „authentische“ Sprachhandlungen in einem angstfreien Rahmen begünstigt. Weiterhin gelingt es den Lernern durch die intensive Bearbeitung des Films ihr Sprachkenntnisse zu erweitern, vielfältig anzuwenden und ein weiterführendes Wissen über Deutschland während der NS- und Nachkriegszeit zu erarbeiten.

 

Literatur

Bitomsky, Hartmut: Die Röte des Rots von Technicolor. Kinorealität und Produktionswirklichkeit. Luchterhand, Neuwied, Darmstadt 1972.

Bordwell, David; Thompson, Kristin: Film Art. An Introduction. 7th ed. McGraw-Hill, New York 2004.

Brandi, Marie-Luise: Video im Deutschunterricht. Eine Übungstypologie zur Arbeit mit fikionalen und dokumentarischen Filmsequenzen. Fernstudieneinheit 13. 7. Ausgabe, Langescheidt, Berlin.

Brandlmeier, Thomas: Von Hitler zu Adenauer. Deutsche Trümmerfilme. In: Hoffmann, Hilmar; Schrobert, Walter (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen – Westdeutscher Nachkriegsfilm 1946-1962Schriften des Deutschen  Filmmuseums, Frankfurt a.M. 1989.

Harms, Michael: TV is quite a big part of my life. Konsequenzen aus der Dominanz von Bildlichkeit im Lernalltag für den Fremdsprachenunterricht in Großbritannien. Materialien Deutsch als Fremdsprache. Fachverband Deutsch als Fremdsprache. Regensburg 2005.

Hoffmann, Hilmar; Schrobert, Walter (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen – Westdeutscher Nachkriegsfilm 1946-1962. Schriften des Deutschen  Filmmuseums, Frankfurt a.M. 1989.

Hoffmann, Hilmar: Die Ökonomie der Gefühle. In: Hoffmann, Hilmar ; Schrobert, Walter (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen – Westdeutscher Nachkriegsfilm 1946-1962.  Schriften des Deutschen  Filmmuseums, Frankfurt a.M. 1989.

Kersten, Heinz: Ankläger der Mörder und Untertanen. Die wichtigsten Jahre des Wolfgang Staudte (1943-1955). In: Stiftung der Deutschen Kinemathek (Hg.): Wolfgang Staudte. Berlin 1977.

Lehker, Marianne: Frauen im Nationalsozialismus. Frankfurt a. M. 1984.

Metz, Christian: Sprache und Film. Deutsche Fassung, Athenäum, Frankfurt a.M. 1973.

Mitscherlich, Alexander; Mitscherlich; Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens. Piper, München 19739 (1. Auflage 1967).

Rother, Rainer (Hg.): Sachlexikon Film. Reinbeck/Hamburg 1997.

Schnurre, Wolfdietrich (in einer Sammelkritik): Deutsche-Film-Rundschau, 5.11.1946, Heft 8.

Schulz, Claudia: Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn. NS-Ideologie und Propagandafilm. In: Schicht, Corinna (Hrsg.): Geschlechterkonstruktionen. Frauen- und Männerbilder in Literatur und Film. Autoren im Kontext, Duisburger Studienbögen, Bd. 5, Duisburg 1995.

Stiftung der Deutschen Kinemathek (Hg.): Wolfgang Staudte. Berlin 1977.

Wilkening, Albert: Künstler und politisches Bewusstsein. Ein Gespräch zwischen Wolfgang Staudte und Albert Wilkening, in: Filmwissenschaftliche Mitteilungen, Berlin (DDR), Nr. 1, 1966.

http://www.film-kultur.de (Hier kann das Filmheft zu Die Mörder sind unter uns heruntergeladen werden.)

http://www.lernort-kino.de

http://www.shoa.de (Hier können Informationen über den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und die Nachkriegszeit gesucht werden.)


Biographische Angabe

Martina Moeller (MA) ist Dozent für Deutsch als Fremdsprache an der Université de Provence. Sie hat das Programmkino ‘Neues Babylon’ in Berlin geleitet und schreibt derzeit eine Doktorarbeit über den Trümmerfilm an der Anglia Ruskin Universität in Cambridge.

 

Anlage 1:

„Stunde-Null“ - Fragebogen:

 Gehen Sie allein oder zu zweit in das Internet und geben Sie folgenden Link ein: http://www.shoa.de. Hier können Sie unter dem Link „Nachkriegsdeutschland“ Informationen zu den Fragen finden. Notieren Sie die Anworten, so dass Sie sie später in der Gruppe präsentieren können.

·        Was bedeutet das Wort „siegen“? Wer waren die Siegermächte?

·        Was passierte mit Berlin und Deutschland?

·        Wann und wo wurde beschlossen Deutschland zu entmilitarisieren, entnazifisieren, demokratisieren usw.?

·        Was bedeutet „Stunde Null“?

·        Welche Probleme hatte die Bevölkerung?

·        Was ist ein Schwarzmarkt?

·        Wie sahen die Städte direkt nach dem Krieg aus?

·        Was war der Marshallplan?

·        Wann werden die BRD und DDR gegründet?

 


Anlage 2: Wortschatz zu Die Mörder sind unter uns

Welche Wörter und Definitionen passen zusammen?

Wortschatz

Definition

a

die Nachkriegszeit

1

Jemand der etwas stiehlt, ist schuldig. Er hat ________.

b

 

der Trümmerfilm,-e

2

Sich selbst Leid tun.

c

die Schuld

3

Die Zeit nach einem Krieg heißt:__________

d

das Verbrechen

4

Ein Erlebnis im Krieg. Eine Erfahrung, die im Krieg gemacht wird.

e

das Kriegserlebnis,-se

5

Eine Person in hoher Position beim Militär.

f

das Selbstmitleid

6

Jemandem helfen.

g

das Trauma,

traumatisiert

7

Ein schreckliches Erlebnis nicht vergessen können.

h

die Unterstützung

8

Ein Name für Filme, die in den Ruinen der zerstörten Städte gedreht wurden.

j

der Hauptmann,-¨er

9

Geld von der Bank stehlen, ist ein ______.

   

Wortschatz

Definition

a

der Zivilist,-en

1

Im Krieg tragen Soldaten einen Helm aus Stahl auf dem Kopf, um sich zu schützen.

b

 

das Schuldbewusstsein

2

Etwas kaputt machen.

c

der Fabrikant,-en

3

Militär, das ein Land besetzt.

d

der Stahlhelm,-e

4

Menschen, die nicht beim Militär sind, heißen:______________

e

die Ruine,-n

5

Ein spezieller, verbotener Markt auf dem man Dinge kaufen kann, die es sonst nicht gibt.

f

zerstören

die Zerstörung,-en

6

Gebiete, die von Militäreinheiten aus anderen Ländern kontrolliert werden.

g

der Schwarzmarkt,¨e

7

Eine Person, die eine Fabrik besitzt

h

 die Besatzungsmächte

8

Wissen, dass man an einer Sache schuldig ist und sich dessen bewusst sein.

j

 die Besatzungszonen

9

Kaputte Häuser sind______.

 


Anlage 3: Sequenzanalyse 

Nr.

Bildbeschreibung

Kameraeinstellung

Perspektive/

Bewegung

Musik/ Geräusche/Ton

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Anlage 4: Fragen zur Analyse einer Figur aus dem Film: Die Mörder sind unter uns

 (Die folgenden Fragen sollten auf jeden Fall mit den Lernern gemeinsam besprochen werden, da es zu Verständnisproblemen kommen kann.)

·        Was ist der zentrale Konflikt oder das zentrale Problem im Film?

·        Welche Figur analysiert ihr? Ist sie sympathisch oder unsympathisch? Warum?

·        In welcher Beziehung steht sie zu dem Problem des Films?

·        Welche Funktion übernimmt die Figur im Film? Warum ist sie da?

·        Wie wird die Figur meistens gezeigt? Welche Einstellungen und Kameraperspektiven werden benutzt? Gibt es viel oder wenig Licht um sie?

·        Gibt es Musik oder Geräusche, die mit der Person zusammen zu hören sind?

·        Welche Funktion haben Licht und Schatten im Film?

 


Anlage 5: Filmhandlung Die Mörder sind unter uns von Wolfgang Staudte (1945/46)

 Bitte fügen Sie die Wörter aus dem Kasten in den Text ein:

 

Selbstjustiz – Schuldbewusstsein – Selbstmitleid – (2x) traumatisiert – Kriegserlebnisse – Wohnung – Exekution - Liebesgeschichte – Justiz - Hauptmann – Zivilisten

 

Berlin 1945: Die junge Fotografin Susanne Wallner kehrt aus dem Konzentrationslager zurück. Ihre Wohnung ist jedoch besetzt. Der Chiruge Hans Mertens lebt in ihr. Mertens ist ___________ durch seine __________________ und betäubt sich in seinem ____________ durch Alkohol.

 

Bezüglich der _______________ arrangieren sich die beiden und Susanne unterstützt Mertens, so dass er langsam wieder Mut zum Leben findet. Eine einseitige _______________ entwickelt sich von Susannes Seite aus. Mertens ist viel zu sehr mit seinen Problemen beschäftigt, als dass er Susannes Gefühle bemerkt.

 

Eines Tages trifft er seinen ehemaligen ___________ Brückner wieder, der ihn während der letzten Kriegstage zur Exekution von polnischen _____________ gezwungen hatte.Brückner lebt jetzt als anständiger Familienvater ohne jegliches ________________ für seine Tat. Als reicher Fabrikant produziert er aus Stahlhelmen nun Kochtöpfe.

 

Mertens hingegen ist noch immer _______________ durch die _____________ an den Zivilisten und macht sich Vorwürfe, dass er dies nicht verhindern konnte. Er möchte Brückner aus Rache töten. Doch im letzten Moment kann Susanne ihn an der Tat hindern und überzeugt Mertens, dass _____________ keine Lösung für dieses Problem sein kann. Schuld ist keine private Angelegenheit, sondern Sache der ________________.

 


Anlage 6: Rollenspiel – Brückners Verhandlung

Wortschatz zum Rollenspiel:

 Bitte definieren Sie folgende Wörter!

 

das Gericht

 

 

der Zeuge,

die Zeugin

 

der Verteidiger, jemanden verteidigen

 

vor Gericht stehen

 

angeklagt sein

 

eine Aussage machen

 

der Anwalt

 

 

 

 Brückners Verhandlung

Stellen Sie sich vor Herr Hauptmann Brückner steht wegen seinen Kriegsverbrechen vor Gericht. Herr Mertens und Frau Wallner sind als Zeugen geladen. Weiterhin gibt es noch einen Richter und einen Verteidiger, der Brückners Anwalt ist. Überlegen Sie zu zweit, welche Argumente gegen Brückners sprechen und welche ihn verteidigen konnen. Sammeln Sie die Argumente an der Tafel. Sie bilden die Grundlage für das Rollenspiel.

Verteilen Sie die verschiedenen Rollen in der Gruppe. Gemeinsam mit der Lehrkraft werden nun die Aussagen der einzelnen Figuren vorbereitet. Die anderen Kursteilnehmer sind die Zuschauer im Gerichtssaal. Sie dürfen auch ihre Meinung äußern oder Kommentare abgeben.

 


Anlage 7: Figurenresümee zum Rollenspiel

Susanne Wallner

Der Regisseur Wolfgang Staudte suchte lange nach einer unbekannten Schauspielerin, die nicht schon während der NS-Zeit ein Star war. Hildegard Knef wurde durch Staudtes Film zum Prototyp der Trümmerfrau. Ungeschminkt und ernst war sie ein Kontrast zu den Nazidiven. Obwohl sie nicht wie eine echte Trümmerfrau aussieht, so ist ihr Charakter doch dementsprechend: Pragmatisch, tüchtig den Alltag organisierend blickt sie hoffnungsvoll in die Zukunft, die sie aufbauen möchte. Susanne erscheint selbständiger und stärker als die männlichen Filmfiguren. Da Frauen während des Kriegs jahrelang ohne Männer zurecht kommen mussten, waren sie gewohnt zu arbeiten und ihr Leben zu organisieren. Deshalb übernahmen sie viele Männerdomänen, was nach dem Krieg auch zu Konflikten zwischen den Geschlechtern führte. Trotz aller Selbständigkeit ist Susanne Mertens, in den sie sich verliebt hat, treu ergeben und wartet nächtelang auf seine Rückkehr. Sie entspricht dem Bild der sich aufopfernden Frau, die alles für ihren Mann tut. Ihre eigene KZ-Erfahrung wird im Film kaum thematisiert. Im Gegensatz zu Mertens haben die Kriegserfahrungen sie nicht traumatisiert – kaum eine realistische Darstellung? Susanne wird im Film wie ein leuchtender Engel inszeniert. Ihre Figur ist immer voll mit Licht ausgeleuchtet. Sie ist es letztlich die Mertens vor seiner Rachetat rettet und ihm verdeutlicht, dass er kein Recht auf Selbstjustiz hat.

 

Hans Mertens

Mertens wird im Film als zerstörter Mensch gezeigt. Die Erfahrungen im Krieg haben ihm Mut und Lust am Leben genommen; er hat resigniert und flüchtet in den Alkohol. Zynisch begegnet er seinen Mitmenschen und kann sich nicht mehr in der Normalität zurechtfinden. Warum Susanne Interesse für diesen Mann entwickelt, erklärt der Film nicht. Ganz im Kontrast dazu erscheint Brückner, der übereifrig schon gleich nach dem Krieg „Karriere“ macht und keine Probleme mit den Kriegserlebnissen hat. Interessanter Weise bricht der Film mit dem Tabu des Kriegshelden und zeigt Mertens als innerlich Verwundeten, der hilflos und verloren aus dem Krieg kommt und ohne die Hilfe einer Frau nicht mehr ins Leben zurückfindet. Mertens Figur wird filmisch wie ein Verbrecher inszeniert. Oftmals sehen wir ihn aus der Vogelperspektive und aus dem Schatten kommend oder in den Schatten gehend. Sein Schuldbewusstsein lässt ihn trotz seines Zynismus sympathisch erscheinen.

Brückner

Hauptmann Brückner ist ein scheinbar gutmütiger und autoritärer Familienvater, der im Krieg doch nur seine „Pflicht“ getan hat. Er hat kein Bewusstsein für seine Kriegstaten und ihre Folgen. Am Ende sagt er: „Ich bin doch unschuldig. Das war doch im Krieg. Was habe ich jetzt damit zu tun. Es ist doch Frieden.“ Freundlich und lustig ist er am Wiederaufbau beteiligt und macht das Beste aus seiner Situation. Der Krieg, so erzählt er, war die große Freiheit in Uniform. Seiner Familie und Mertens berichtet Brückner von seinen Erlebnissen, als wären sie Märchen. Brückner ist nur auf seine eigene Situation fixiert, Leid und Unglück, das mit dem Krieg verbunden ist, scheint er vergessen zu haben und kann nicht verstehen, warum Mertens am Leben scheitert. Seine Motto ist das Vergessen und Wegsehen. Die negativen Seiten des Kriegs hat er sofort vergessen, nur das Positive bleibt in seiner Erinnerung.

 

Mondschein

Die Figur des Mondschein verkörpert den Lebenswillen und ist ein väterlicher Ratgeber für Susanne und Mertens. Er gibt allen um sich herum Hoffnung, obgleich er selbst seinen kommenden Tod fühlt. Er kann auch als dramaturigischer Gegenposition zu Mertens Zynismus gesehen werden. Mondschein stirbt in dem Moment, da Mertens eine Wandlung durch die Rettung des Kindes erlebt und wieder Mut zum Leben findet.

 

Hellseher Timm

Timm verkörpert eine skrupellose Figur, die aus dem Leid anderer Gewinne macht. In Krisenzeiten, so sagt er, suchen Menschen Halt und Orientierung in Religion und Aberglauben.

 

Filmdaten:

Die Mörder sind unter uns

Deutschland 1945/46

Buch und Regie: Wolfgang Staudte

Kamera: Friedl Behn-Grund

Musik: Ernst Roters

Produktion: DEFA

Darsteller: Hildegard Knef (Susanne Wallner), Ernst Wilhelm Borchert (Dr. Hans Mertens), Robert Frosch (Mondschein), Arno Paulsen (Ferdinand Brückner)

Länge: 81 Minuten

 

 



[1] Hierbei sei noch vermerkt, dass Michael Harms in seiner Studie zur Bedeutung von visuellen Medien im Fremdsprachenerwerb am Beispiel Großbritaniens eine generelle Bevorzugung visueller Medien, also DVDs, Videos etc., vor dem Lesen von Büchern ermitteln konnte. Seiner Studie nach verbinden Studenten die Aneignung von Literatur durch die jeweilige Verfilmung mit Entspannung und Vergnügen. Nach Aussagen der Studenten wurde jedoch bemängelt, dass Videos und DVDs in den Sprachunterricht selten eine mediengerechte Integation finden. Vgl. Harms (2005: 236ff.).

[2] Vgl. Kersten (1977: 18). Anzumerken bleibt, dass Susannes Darstellung als ehemalige KZ-Insassin peinlich unrealistisch ausfällt. Ohne innere oder äußere Folgen ihrer Gefangenschaft blickt sie nur dem Aufbau einer gemeinsamen Zukunft mit Mertens und seiner Gesundung entgegen. Sie entspricht hiermit dem mütterlichen, sich selbst aufgebenden, alles für den Mann tuenden Frauenideal der NS-Propagandafilme, das von Marianne Lehker wie folgt definiert wird: “kräftig, gesund, edel, treu, pflichtbewusst, ausdauernd, vaterlandsliebend, opferbereit, todesmutig, selbstlos, tapfer, bescheiden, leidensbereit, erfindungsreich und tüchtig“ (Schulz 1985: 35). Diese Typologie trifft exakt auf die Darstellung der Figur Susanne zu: Sie rettet Mertens nicht nur vor seiner konsequenzreichen Tat am Ende des Films, sie putzt auch, kocht, wäscht, wartet auf ihn nächtelang, gibt ohne eine Gegenleistung zu verlangen, ist immer für ihn da und stellt die bürgerliche Ordnung für ihn wieder her. Auch Susannes Interesse für Mertens bleibt aufgrund mangelnder Begründung im Film eher unglaubwürdig.